Baakenhafenbrücke - Hafen City, Hamburg

Preis des Deutschen Stahlbaues 2014
Auszeichnung
Architekt: Wilkinson Eyre Architects, London
Ingenieur: Happold Ingenieurbüro GmbH, Berlin
Bauherr: HafenCity Hamburg GmbH
Laudatio
Mit der Baakenhafenbrücke wird eine wichtige Verbindung im neuen Hamburger Stadtteil Hafencity markiert. Die aus der Idee der räumlichen Trennung von Fußweg und Straße entwickelte wellenförmige Grundrissstruktur der Brücke führt im Zusammenspiel mit der präzise entwickelten Tragstruktur zu einer bewegten und eleganten Brückenskulptur. Es ist nicht nur eine räumlich interessante Wasserüberquerung mit hohem Aufenthaltswert für die Fußgänger entstanden, es wurde darüber hinaus ein ästhetisch überzeugendes und auch im Hinblick auf Nachhaltigkeitskriterien bis in alle Details beispielhaftes Verkehrsbauwerk entwickelt.
Erläuterungsbericht von Wilkinson Eyre Architects, London zur Einreichung beim 'Preis des Deutschen Stahlbaues 2014':
Die Baakenhafenbrücke markiert die wichtigste Verbindung im neuen Stadtteil HafenCity in Hamburg. Über der Einfahrt eines ehemaligen Seehafenbeckens ist sie eine markante Landmarke und zugleich die größte Brücke des Quartiers. Die leicht geschwungene, den Kraftflüssen folgende Form macht sie zu einer eleganten Erscheinung. Sie genügt gleichermaßen gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen des modernen Straßenverkehrs sowie höchsten Ansprüchen der Nachhaltigkeit. Mit dem durch die Kraft der Tide aushebbare Mittelteil beschreitet die Brücke neue Wege einer „minimalen Beweglichkeit“.
Skizze: Wilkinson Eyre Architects
Grundidee und Konstruktion
Die Grundidee ist ein schiefwinkliges, semiintegrales, aus drei Abschnitten bestehendes Stahlbrückenbauwerk. Die Endfelder kragen über die in zwei Doppel-V-Stützen aufgelösten Mittelpfeiler hinaus und tragen das Aushubteil des Mittelfeldes. Die Doppel-V-Stützen bilden durch die lagerlosen Verbindungen mit den Hauptträgern zwei Rahmentragwerke. Auf den Widerlagern erfolgt die Lagerung auf zwei Elastomerlagern. Das Aushubteil wird auf den Kragarmen aufgelagert und ruht auf Kalottenlagern. Die skulptural geformten Strompfeiler bilden ein architektonisches Highlight, ihre Positionierung im Tidebereich machte eine besondere Bauweise erforderlich. Nach dem Rammen der Stahlrohre mit einem Durchmesser von 1,50 m in das Hafenbecken wurden von einer Hubinsel aus die jeweils zwölf Bohrpfähle mit Pfahlfußaufweitung suspensionsgestützt hergestellt. Gemäß einem Sondervorschlag des ausführenden Unternehmers wurde anschließend eine Betonaußenschale überhöht hergestellt und „wie ein großes Schiff“ millimetergenau in die endgültige Lage abgesenkt. Nach dem Einbringen einer dichtenden Unterwasserbetonsohle konnte „das Schiff“ gelenzt und ausbetoniert werden. Anschließend wurden die V-Stützen mit den Pfeilern verspannt und der Deckel betoniert.
Der Stahlüberbau besteht aus jeweils zwei luftdicht verschweißten Hohlkastenträgern. Die Hauptträger sind mit offenen Querträgern verbunden, die das orthotrope Fahrbahndeck und die Gehwege tragen. In der Gesamtanmutung entwickelt sich ein ästhetisch geschwungenes Bauwerk, dessen Formen und Proportionen gut miteinander harmonieren. Die geschwungene Form der Hauptträger und Gehwege und der schiefwinklige Anschluss der Querträger, erforderte den Aufbau eines dreidimensionalen parametrisierten Computermodells. Mithilfe dieses Modells konnte die Werkstattfertigung direkt gesteuert werden. In der Folge wurden die Brennschneidmaschinen computergesteuert und die Position jedes auf den Stahlblechenanschlusses trassiert. Dies führte zu einer hohen geometrische Genauigkeit.
Die Fertigung der V-Stützen und des Brückenüberbaus mit eine Gesamtgewicht von zirka 2.500 Tonnen erfolgte in Belgien in nur acht Monaten. Dieser Zeitraum konnte nur dadurch eingehalten werden, dass die Herstellung auf mehrere Standorte verteilt wurde. Der Brückenüberbau wurde dazu in 36 Bauteile aufgeteilt und anschließend im Freien zusammengebaut. Dabei kamen voll- und halbautomatische Schweißverfahren zur Anwendung. Der Korrosionschutz erfolgte mittels eines Dreischichtensystems. Zur Dauerhaftigkeit wurden vorab alle Ecken der Stahlbleche mit einem Radius von 5 mm abgerundet. Bei der witterungsgeschützten Herstellung des Überbaus wurde durch die nahezu vollständige Vorfertigung eine besondere Qualität erreicht.
Nach der Montage der Strompfeiler wurden die im Werk gefertigten Überbauten in drei kompletten Teilen auf dem Seeweg über die Nordsee angeliefert und in nur drei Tagen montiert. Mittels dreier Schwimmkrane wurden zuerst die zwei Randfelder auf das Widerlager und die V-Stützen gesetzt und verschweißt. Anschließend erfolgte das Einheben des Mittelsegments. Nach der Ausrichtung wurden die V-Stützen- Lager mit den Hauptträgern des Überbaus zum Rahmentragwerk verschweißt. Damit bilden Überbau und Unterbau eine ästhetisch sehr ansprechende Einheit ohne Wartungsaufwand.
Gestaltung
Bei einer Brücke, die hohen Verkehrslasten standhalten soll, muss jedes Element den Anforderungen auf Robustheit, Funktionalität und Qualität entsprechen. Besonderes Augenmerk wurde auf die Elemente gelegt, die die Fußgänger zum Verweilen einladen. Die elegante Edelstahlbrüstung steht beispielhaft für die hohe Qualität des Designs. Die Neigung der Brüstung nach innen, eine Erweiterung der äußeren Kante, hält Kletterer ab. Die vertikalen Edelstahlprofi le des Geländers variieren in der Länge und akzentuieren die Wellenbewegung des Entwurfs. Wie die skulpturale Brüstung, sind auch die Holzbänke und Sitzstufen behutsam in die Gesamtform der Brücke integriert.
Besonders gelungen ist zudem das Beleuchtungskonzept. Neben der öffentlichen Beleuchtung in Form von speziell entworfenen Lichtmasten, die in das Haupttragwerk „hineinlaufen“, erhält die Brücke durch die atmosphärische Beleuchtung, bestehend aus einem Gesimslichtband außen am Gehweg und der V-Stützenbeleuchtung, eine besondere Fernwirkung bei Nacht und erfährt eine angenehme Betonung der Gehwege und Aufenthaltsbereiche.
Nutzung
Autos und Radfahrer sollen die Brücke zügig queren können, gleichzeitig soll Fußgängern eine hohe Aufenthaltsqualität über dem Wasser geboten werden. Deshalb wurden diese Verkehrswege mithilfe skulptural geformter Hauptträger getrennt: In ihrem Schutz bewegen sich die Fußgänger barrierefrei auf sanft geschwungenen Wegen und können auf Sitzstufen und Belvederes verweilen. Mit ihrer Architektur bietet die Brücke zudem reizvolle Raumerlebnisse, fügt sich harmonisch in das Umfeld ein und wirkt identitätsstiftend.
Unter der Brücke können die typischen Hamburger Hafenbarkassen unverändert in das ehemalige Hafenbecken einfahren. Damit auch große Museumsschiffe hier festmachen können, gibt es ein Aushubelement: Dabei hebt ein Ponton mit der Kraft der Tide das Mittelsegment der Kragträgerkonstruktion heraus.
Sogar die Fahrbahn lässt sich von zwei auf drei Fahrstreifen erweitern. Damit kann auf ein verändertes Verkehrsaufkommen reagiert werden, wenn sich auf der Halbinsel ein Veranstaltungsort etabliert oder die Stadt über die Norderelbe hinweg weiterentwickelt.
Nachhaltigkeit
Eine entscheidende Innovation bei der Baakenhafenbrücke ist das umgesetzte Gesamtkonzept einer nachhaltigen Brücke. Moderne Ingenieurbauwerke im innerstädtischen Bereich sehen sich einer Vielzahl von Nutzungsanforderungen und -änderungen ausgesetzt, die in unserer schnelllebigen Zeit einem permanenten Wandel unterworfen sind und häufi g mit der Forderung nach langer Lebensdauer sowie nachhaltiger Nutzung im Konfl ikt stehen. Bei diesem Projekt wurde ein Konzept erarbeitet und realisiert, das sich wandelnde Anforderungen an das Bauwerk berücksichtigt und eine hohe Nutzungsfl exibilität bietet. Mit einem durch die Kraft der Tide aushebbaren Element zur Realisierung einer Schiffsdurchfahrt werden Neuland beschritten, Kosten gespart und natürliche Ressourcen genutzt.
Eine objektive, vereinheitlichte Bewertung der Nachhaltigkeit von Ingenieurbauwerken erfolgte bisher nicht. Die Baakenhafenbrücke hat als eines von fünf Pilotprojekten zur Entwicklung eines brückenspezifi schen Bewertungssystems beigetragen. Sie ist die bundesweit erste Brücke, bei der die Systematik der Nachhaltigkeitsbewertung bereits in den Wettbewerb integriert wurde und wichtiger Bestandteil der Planungs- und Realisierungsphase war. Bis in die Details hat dieser Gedankenprozess immer wieder neue Wege eröffnet und Lösungen von Nachhaltigkeitsanforderungen hervorgebracht. Die Verbindung der V-Stützen mit dem Überbau verzichtet auf wartungsintensive Lager und für die Instandhaltung der gesamten Beleuchtung muss niemand mehr „unter die Brücke“. Alle Instandhaltungsarbeiten erfolgen vom Brückendeck. Die simple Idee, die unteren Querträgerfl ansche auf weniger als 45 Grad zu neigen, ist ein wirkungsvoller Schutz gegen Verschmutzung durch nistende Vögel. Die in die Borde integrierte Entwässerung vermeidet, dass die Konstruktion von Ablaufrohren durchdrungen wird.
Das Ergebnis der Nachhaltigkeitsbeurteilung konnte ausgehend vom Wettbewerb bis zur Fertigstellung nicht nur gehalten, sondern sogar verbessert werden. Die Baakenhafenbrücke erreicht die Beurteilung „sehr gut“. Die positiven Erfahrungen aus der Nachhaltigkeitszertifi zierung im Projekt Baakenhafenbrücke werden zukünftig dazu beitragen, die Qualität von Ingenieurbauwerken über den gesamten Lebenszyklus entscheidend zu verbessern.
Die wichtigsten Daten im Überblick
Hindernis: Baakenhafen, Passierbarkeit für kleine Barkassen und gelegentlich große Museumsschiffe
Bauwerksart: semiintegrale Stahlbrücke mit Aushubelement
Baujahr: 2012-2013
Kosten: 18 Mio. EUR (netto Gesamtkosten)
Gesamtlänge: 166 m
Gewicht der V-Stützen: 273 Tonnen
Gewicht des Brückenüberbaus: 2.207 Tonnen
Anzahl der Felder: 3
Größte Stützweite: 60 m
Breite: 21 bis 25 m
Besonderheit: Nachhaltigkeitsbewertung „sehr gut“, Mittelsegment mit der Kraft der Tide aushebbar, sehr kurze Planungs- und Bauzeit