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Blaue Welle Flöha

Schüssler Plan

Laudatio der Jury
Auszeichnung: Frank Ehrlicher, Gregor Gebert, Schüssler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, Brücken- und Ingenieurbau, Berlin für die Blaue Welle Flöha

Die Fußgängerbrücke löst eine städtebaulich anspruchsvolle Aufgabe gestalterisch und technisch hervorragend. Die robuste, semi-integrale Bauweise führt zu einem besonders schlanken Tragwerk. Die S-förmige Geometrie und die verschieblichen Zwischenauflager ermöglichen den Abbau von Zwängungen. Der besondere Reiz der Konstruktion besteht aber darin, dass die beiden Randkästen entsprechend der Beanspruchung asymmetrisch an den Außenrändern des Tragwerks voutenförmig ausgebildet sind. Die Gestaltung folgt der Logik von Wegeführung und technischer Funktion und verleiht der Brücke ein markantes Erscheinungsbild.

Preisträger
Kategorie Fuß- und Radwegbrücke

Wenn eine Brücke „Blaue Welle“ getauft wird, zeugt das davon, dass das Bauwerk Anklang findet. Die so geadelte neue Geh- und Radwegbrücke in Flöha quert die Bundesstraße 173 und die Gleise der Erzgebirgsbahn. Sie bindet vom Bahnhof aus ein örtliches Naherholungsgebiet an das Stadtzentrum an. Dabei folgt die S-förmige Krümmung der 110,60 m langen Brücke geschickt den örtlichen Gegebenheiten. Die Eleganz dieser wirtschaftlich optimierten Lösung und ihre blaue Farbgebung prägen den neuen Bahnhofsbereich ganz entscheidend.

 

Foto: Schüßler-Plan

Durch die asymmetrisch angeordneten Vouten an den Außenradien der Bögen erhält die Brücke ihr fließendes, dynamisches Erscheinungsbild – sie wird zur „Blauen Welle“. Die beeindruckende ganzheitliche Gestaltung setzt sich bis in die Ausbildung der Widerlager und Brückengeländer mit der in den Handlauf integrierten LED-basierten Beleuchtung fort. Diese Lichtführung unterstreicht bei Dunkelheit die geschwungene Linienführung des Bauwerks sehr eindrucksvoll.

 

Die wellenförmige Trassierung erfolgt im Bauwerksbereich durch Radien von jeweils 60 m. Daran schließen sich Zwischenradien bzw. -geraden an, mit denen die Anbindung an die beiden Widerlager der Brücke erfolgt. Das dreifeldrige, S-förmig gekrümmte Tragwerk besteht aus luftdicht verschweißten Hohlkästen mit einer orthotrophen Platte als Brückendeck. Die Besonderheit der Konstruktion besteht darin, dass die beiden Randkästen entsprechend der Beanspruchung asymmetrisch an den Außenrändern des Tragwerks voutenförmig ausgebildet sind.


Der Überbau ist in den beiden Widerlagern eingespannt und auf den Stützen verschieblich gelagert. Durch diese semi-integrale Konzeption können die durch Temperaturschwankungen entstehenden Zwangskräfte durch radiale Verschiebungen an den Stützen abgebaut werden. Dies verleiht dem Tragsystem seine außerordentliche Schlankheit bei geringem Wartungsaufwand. Trotz dieser Schlankheit sind keine besonderen Maßnahmen zur Schwingungsbegrenzung erforderlich, denn die Einspannung des Überbaus in den Widerlagern führt zu einer hohen Bauwerkssteifigkeit, die sich positiv auf das Schwingungsverhalten auswirkt.

 

In der „Blauen Welle“ von Flöha sieht die Jury Ingenieurbaukunst überzeugend verwirklicht. Die wirtschaftlich optimierte Konstruktion ist die überzeugende Lösung der gestellten baulichen Aufgabe und ein wichtiger Beitrag zur Baukultur in einem städtebaulichen in Entwicklung befindlichen Umfeld. Das empfiehlt die Brücke für den Deutschen Brückenbaupreis 2012.

Erläuterungen von Frank Ehrlicher (Projektleiter),
Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft, zur Einreichung 'Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaues 2013':

Aufgabenstellung

1. Bauaufgabe
Im Zuge der Verlegung der Bundesstraße B 173 in Flöha soll mit der Errichtung einer Geh- und Radwegbrücke eine fußläufige Verbindung zwischen dem Stadtzentrum und der Siedlung „Am Golfplatz“ geschaffen werden. Das Bauwerk überspannt die Bahnlinie Annaberg-Flöha der Erzgebirgsbahn und die neue B 173. Der Kreuzungswinkel zwischen der Brückenachse und der Achse der B 173 n beträgt ca. 42 gon.
Die örtlichen Gegebenheiten sind geprägt von beengten Platzverhältnissen zwischen Grundstücken und Straße auf der Stadtseite und einer steilen Böschung jenseits der Bahnlinie. Beide Verkehrswege sollen stützenfrei überspannt werden. Zugleich ist ein großer Höhenunterschied zu überwinden. Insbesondere das frei zu haltende Lichtraum-profil der B 173 erfordert zunächst ein längeres Rampenbauwerk zur Höhenentwicklung bis über den Straßenraum eingeschwenkt werden kann. Auf der gegenüberliegenden Seite ist eine Anbindung nur im Kurvenbereich der Straße „Am Golfplatz“ möglich. Hier ist ein höhengleicher Anschluss erforderlich, da Platz für eine Rampe fehlt. 
Aufgrund der beschränkten örtlichen Gegebenheiten und der erforderlichen Höhenent-wicklung des Bauwerks zur Querung der B 173 n (lichte Höhe ≥ 4,70 m) steigt die Gra-diente auf der Stadtseite zunächst mit bis max. 9,0 % an und reduziert sich dann auf 0,5 % am Widerlager Achse 40. Der Kuppenhalbmesser beträgt R = 500 m. Über dem Bahngleis ergibt sich eine lichte Höhe von ca. 7,30 m.

Der Verkehr auf der Straße „Am Golfplatz“ sowie der Bahnbetrieb waren während der gesamten Bauzeit, mit Ausnahme kurzer Sperrungen für Montagearbeiten über den Verkehrswegen aufrechtzuerhalten. 

2. Entwurfsgrundsätze
Die örtlichen Randbedingungen führen konsequent zu einer S-förmigen Trassierung im Bauwerksbereich. Darüber hinaus wurden folgende Kriterien für den Bauwerksentwurf definiert:
• Die trennende Wirkung durch die Verkehrswege (Bahn, B 173) soll durch eine gut sicht- und einsehbare Wegeführung auf dem Brückenbauwerk minimiert werden.
• Die Bauhöhe ist zur Minimierung der ohnehin schon relativ großen Rampennei-gung so gering wie möglich zu halten.
• Das Tragwerk soll die S-förmig, asymmetrische Wegeführung optisch unterstüt-zen. 
• Das Tragwerk soll keine zu große Dominanz im kleinteiligen und heterogenen Umfeld erhalten. Insofern ist eine zurückhaltende aber klare Gestaltung anzustreben, deren Qualität sich in gut durchgebildeten Detailpunkten widerspiegelt.

Lösungsweg

3. Tragwerkskonzept
Der Geh- und Radweg wird, vom Stadtzentrum kommend, über eine Rampe bzw. Stützwand an das Bauwerk herangeführt. Die Trassierung wird i.W. durch Radien von jeweils 60 m beschrieben. Daran schließen Zwischenradien bzw. -geraden an, mit denen die Anbindung an die beiden Anschlusspunkte der Brücke hergestellt wird. 
Das dreifeldrige Bauwerk ist somit konsequent als wellenförmig gekrümmtes, semiinteg-rales Tragwerk mit oben liegenden Vouten konzipiert. Die Anordnung der Vouten erfolgt jedoch über den beiden Pfeilern asymmetrisch, jeweils am Außenradius des Gehwegs. Dadurch erhält das Bauwerk sein dynamisches, fließendes Erscheinungsbild und im Zu-sammenhang mit dem blauen Anstrich seinen prägenden Namen „Blaue Welle“. 
Das stählerne Gehwegdeck ist in die Widerlager eingespannt, so dass keine Über-gangskonstruktionen erforderlich werden. Lager sind nur an den Pfeilern vorhanden. Lager. Die Lagerung des Überbaus erfolgt hier auf allseits beweglichen Elastomergleit-lagern mit obenliegender Gleitplatte. Zwangskräfte infolge Temperatur werden durch la-terale Bewegung der S-förmig gekrümmten Struktur und durch Verformungsmöglichkei-ten an den Pfeilern soweit abgebaut, dass die Einspannkräfte an den Widerlagern gut beherrschbar sind. Das gewählte Tragwerkskonzept ermöglicht die Ausführung eines sehr schlanken und wartungsfreundlichen Bauwerks. Aufgrund der Einspannung verfügt der Überbau über eine hohe Steifigkeit, die sich positiv auf das Schwingungsverhalten auswirkt. So sind keine besonderen Maßnahmen zur Schwingungsbegrenzung erforder-lich.

4. Gehwegdeck
Das Gehwegdeck wird als orthotrope Platte mit querorientierten Trapezsteifen ausgebil-det. Die Querschnittsausbildung erfolgt als 3-zelliger, luftdicht verschweißter Hohlkas-ten, der sich aus einem Mittelteil im Gehwegbereich und den beiden äußeren Randkäs-ten zusammensetzt, aus denen sich die Vouten entwickeln. Die Konstruktionshöhe be-trägt 80 cm. Die Höhe der Randkästen beträgt in der Außenansicht lediglich 48 cm, was zu einem sehr schlanken Erscheinungsbild führt. Im Bereich der parabelförmig verlau-fenden Vouten vergrößert sich diese Höhe auf max. 1,37 m.
Die Einspannung des Stahldecks wird über das Ausbetonieren der Übergangsbereiche Stahl/Beton realisiert. Für die Einleitung der Anschlusskräfte dienen am Stahldeck an-geschweißte Kopfbolzendübel und Muffenverbindungen.
Der Gehwegbereich wird als orthotrope Platte mit querorientierten Steifen ausgebildet. Zur Gewährleistung der Formtreue sind in regelmäßigen Abständen Querschotte vorge-sehen. Zur Aussteifung des Bodenblechs dienen querorientierte Beulsteifen aus ½ IPE 240.
Die geschweißte Stahlkonstruktion wird in der Stahlgüte S355J2+N ausgeführt. Die Stahlkonstruktion erhält einen Korrosionsschutz nach ZTV ING, Teil 4, Abschnitt 3. Die Grund- und Zwischenbeschichtungen werden mit Ausnahmen der Baustellenstöße im Werk appliziert. Die Deckbeschichtung wird nach Abschluss der Stahlbaumontage und Absenken der Hilfsstützen vor Ort aufgebracht.

5. Unterbauten und Gründung
Die Widerlager mit den anschließenden Stützwandabschnitten haben eine bewusst ein-fache Kubatur. Sie sind scheibenförmig ausgebildet, mit einer beidseitig auskragenden Gehwegplatte als oberen Abschluss. Die Gesamtlänge der Widerlager einschl. der Stützwandabschnitte beträgt ca. 40 m (Achse 10) und 20 m (Achse 20). Die Pfeiler sind als Stahlbetonstützen mit rechteckigem Querschnitt ausgebildet. Der Querschnitt ver-jüngt sich zum Auflagerkopf mit Abmessungen von 0,80 x 1,4 m. Die sichtbaren Beton-flächen werden durch Verwendung von glatter Schalung und horizontaler Brettschalung strukturiert.
Aufgrund der vorliegenden Bodenverhältnisse wurden das Widerlager 10 und der Pfeiler 20 mittels Bohrpfählen tief gegründet. Die niedrigen Stützwandabschnitte in Achse 10, der Pfeiler 30 sowie das Widerlager 40 wurden auf dem anstehenden Felshorizont flach gegründet.

6. Vorsorge zur Schwingungsbegrenzung
Um im Bedarfsfall nachträgliche Maßnahmen zur Schwingungsdämpfung des Überbaus vornehmen zu können, wurde in Mitte des Hauptfeldes eine Kammer für den nachträgli-chen Einbau eines Schwingungstilgers vorgesehen. Zur Beurteilung des tatsächlichen Schwingungsverhaltens wurden nach Fertigstellung des Bauwerks Schwingungstests mit Gruppen von 2, 5 und 55 Personen durchgeführt. Die Auswertung der Messungen ergab, dass die anzusetzenden Komfortkriterien eingehalten sind und ein mutwilliges Anregen der Brücke extrem schwierig ist. Auf den Einbau des Schwingungstilgers konnte somit verzichtet werden.

7. Geländer und Beleuchtung
Als Absturzsicherung dienen 1,20 m hohe architektonisch gestaltete Füllstabgeländer. Im Handlauf des Brückengeländers wird eine LED-basierte Leuchte integriert. Die Leuchten werden einseitig, jeweils auf der den Vouten gegenüberliegenden Seite angeordnet, was die Dynamik des Tragwerks auch bei Dunkelheit unterstreicht. Für den Einbau der Leuchten wurde ein spezielles Edelstahl-Nutrohr-System in Kombination mit einem Standard -Edelstahlhandlauf Ø 76,1 mm vorgesehen. 
Die Verankerung der Geländer erfolgt über Schraubanschlüsse. Auf den beiden Außen-kästen des Stahlüberbaus werden hierzu entsprechende Fahnenbleche angeschweißt. Auf der Gehwegplatte und im Bereich der Stützwände wird für die Verschraubung der Geländer eine Fußplatte eingebaut, an welcher ein entsprechendes Fahnenblech ange-schweißt ist.

8. Herstellung Überbau
Das Gehwegdeck wurde im Werk mit Regellängen von ca. 13,5 m vorgefertigt und auf der Straße zur Baustelle transportiert. Dort erfolgte dass Verschweißen zu größeren Montageeinheiten. Die Montageeinheiten wurden per Autokran auf Hilfsstützen aufgelegt und sukzessive miteinander verschweißt. Zur Vermeidung temperaturbedingter Be-wegungen beim Herstellen der monolithischen Verbindung an den Widerlagern wurde in der Mitte des Überbaus zunächst eine Lücke gelassen, die erst nach dem Aushärten der Einspannstelle mit einem Passstück geschlossen wurde.
Hervorzuheben ist, dass die geplante, sehr anspruchsvolle Geometrie des Tragwerks durch die ausführende Firma in hervorragender Weise umgesetzt wurde.

 

Zusammenfassung

9. Zusammenfassung
Die "Blauen Welle" von Flöha ist die gelungene Umsetzung der gestellten baulichen Anforderungen mit den Mitteln und Vorzügen des Stahlbaus. 
Durch den Einsatz von Stahl als Baumaterial und der damit möglichen Form- und auch Farbgebung wird die angestrebte schlanke Tragwerksform erst realisierbar. In Kombination mit Beton – hier insbesondere die Einspannung des Überbaus in die Widerlager – entsteht ein optimales, semiintegrales Tragwerk von großer Leichtigkeit und Spannung, welches sich neben der architektonischen Wirkung insbesondere auch aus statischen Grundsätzen ableitet. Die S-förmig gekrümmte Trassierung führt zudem zu einer spür-baren Reduzierung der Längsneigung auf dem Bauwerk und damit zu einem höheren Nutzerkomfort.
Des Weiteren ermöglicht die Ausbildung in Stahl eine effiziente Montage insbesondere über dem Verkehrsweg „Bahn“ und somit eine Minimierung der Einschränkungen im Bahnbetrieb. 
Die Einspannung des Gehwegdecks in die Widerlager ermöglicht den Verzicht komplizierter Lager und Übergangskonstruktionen an den beiden Brückenenden. Dies ist dadurch möglich, weil die Zwangskräfte infolge Temperatur durch laterale Bewegung der S-förmig gekrümmten Struktur und durch Verformungsmöglichkeiten an den Pfeilern soweit abgebaut werden, dass die Einspannkräfte an den Widerlagern gut beherrschbar sind. Mit dem gewählten Tragwerkskonzept wird somit die Ausführung eines sehr schlanken als auch wartungsfreundlichen Bauwerks ermöglicht. 
Aufgrund der Einspannung in die Widerlager verfügt der Überbau trotz der großen Schlankheit über eine hohe Steifigkeit, die sich positiv auf das Schwingungsverhalten auswirkt. Im Rahmen eines Schwingungsversuchs mit Einzelpersonen und Personengruppen, durchgeführt mit Unterstützung von Schülern einer Schulklasse aus Flöha im Rahmen eines Praktikums, wurde mittels der durchgeführten Messungen und nachfol-genden Auswertungen der Nachweis erbracht, dass keine besonderen Maßnahmen zur Schwingungsbegrenzung erforderlich sind. Auf die mögliche Nachrüstung mit einem Schwingungstilger – hierfür war im Gehwegdeck speziell eine verschließbare Kammer vorgesehen worden, konnte somit verzichtet werden. 
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die wirtschaftlich optimierte Konstruktion die überzeugende Lösung der gestellten baulichen Aufgabe und einen Beitrag zur Bau-kultur in einem städtebaulichen in Entwicklung befindlichen Umfeld darstellt.

Fertigstellung
2010
Ingenieur
Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft
Bauherr
DEGES GmbH, Berlin im Auftrag des Freistaates Sachsen
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