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Das Gerling-Hochhaus – ein Stahlbau der Nachkriegsmoderne, Köln

Marcus Schwier

Preis des Deutschen Stahlbaues 2016

Sonderpreis des Bundesministeriums für Umwelt, Bau und Reaktorsicherheit für nachhaltiges Bauen

Architekten: kister scheithauer gross architekten und stadtplaner, Köln

Laudatio
Der vollständige Umbau des Gerling Hochhauses in Köln ist die gelungene Transformation eines Bürogebäudes der Nachkriegsmoderne in ein Wohnhaus der Gegenwart. Das in Stahlrahmenbauweise errichtete Haus wurde mit großer Sorgfalt funktional und technisch erneuert und statisch ertüchtigt. Trotz nutzungsbedingter Anpassung gelingt es den architektonischen Ausdruck des Bauwerks zu bewahren. Nachhaltigkeit wird damit unter Beweis gestellt und insbesondere die Beständigkeit einer überlegten Stahlbauweise.

Im Spannungsfeld des sinnvollen Erhaltens und notwendigen Erneuerns erfolgt ein verantwortungsvoller Umgang mit einer Architektur als räumliche und konstruktive Ressource. Die gestalterische Qualität eines Bauwerks und sein damit untrennbar zusammenhängendes schlüssiges Tragwerk sind grundlegend für Kontinuität und Wandel einer Architektur.

Die Sanierung und Umnutzung des Gerling Hochhauses steht exemplarisch für die Beständigkeit stadträumlich, gestalterisch und konstruktiv guter Architektur und ist wegweisend für die sorgfältige und hochwertige Erneuerung eines Bauwerks aus den fünfziger Jahren.

Erläuterungsbericht von KSG Architekten:

Die Architektur der Nachkriegsmoderne ist Teil unseres baukulturellen Erbes. Ein wichtiger Teil davon ist der verdeckte Stahlbau – „verdeckt“, weil es oft auch Fachleuten nicht bekannt ist, dass viele baukulturellen Schätze ein nicht sichtbares Stahltragwerk haben. Also ein Stahlbau der Nachkriegsmoderne sind. Viele dieser Bauten stehen heute vor der Fragestellung Abriss oder Modernisierung. Die Transformation des Gerling-Hochhauses zeigt die gelungene Wiederbelebung eines Büro- in ein Wohngebäude.

 

Foto: Marcus Schwier


Das Gerling Quartier
Das unter Denkmalschutz stehende 15-stöckige ehemalige Bürohochhaus ist Teil des 4,6 ha großen Gerling Quartiers in der Kölner Innenstadt. Seit Beginn der 50er Jahre errichtete sich die Versicherungsgruppe Gerling in dem im Krieg größtenteils zerstörten Friesenviertel seinen eigenen kleinen Kosmos, heute bekannt als Gerling-Areal inmitten der Kölner Innenstadt. Zur Repräsentation des Konzerns, in enger Zusammenarbeit mit seinem Eigentümer Hans Gerling, entwickelt, wuchs das Ensemble in einheitlicher Architektursprache und blieben die Gebäude über Jahrzehnte nahezu unverändert erhalten. Mit der Auflösung und damit dem Auszug des Gerling-Konzerns 2009 wird das Areal nun zum innerstädtischen Wohn- und Geschäftsquartier umgewandelt und nachverdichtet. „Im Masterplan verschmelzen mehrere Grundsätze zu einer städtebaulichen Strategie: Die Eigenart der Architektur, das Spiel mit Höhen und Tiefen sowie der städtische Charakter der steinernen Flächen und Volumina werden erhalten“, so Johannes Kister. Alle für den Bestand bedeutsamen Gebäude bleiben bestehen, so dass das Gerling-Areal auch weiterhin Köln prägt. Zugleich wird das Areal mit einer 127.000 m² großen Bestandsfläche um ca. 18.000 m² erweitert. Dabei entwickelt sich die Nachverdichtung aus dem Bestand mit dem städtebaulichen Ziel, neue Stadträume zu schaffen und erlebbar zu machen. Zusätzlich zu Masterplan und der neuen Platzgestaltung entwickelten ksg gemeinsam mit den beteiligten Architekturbüros ein denkmalschutzgerechtes Konzept zur energetischen Fassadensanierung; die äußere Schicht der Natursteinplatten wird um die Stärke der Dämmung verschoben.

Das Gerling-Hochhaus
Das 14-geschossige Hochhaus in Stahlbetonskelettbauweise auf dem rechteckigen Grundriss mit west- und östlich anschließenden 2- bzw- 3-geschossigen Annexbauten von gleicher Traufhöhe besticht von außen durch seine Rasterfassade. Diese Fassade aus Muschelkalk und Naturstein wurde von ksg subtil saniert. Dafür wurde das Gebäude bis auf sein Stahlskelett komplett entkernt, um die geplanten Eigentumswohnungen dort unterzubringen. Vorgesehen sind meist vier Wohnungen pro Geschoss à 80-100 qm. Im Inneren besticht das Haus Gerling durch seine zweigeschossige Eingangshalle. Diese bleibt bestehen und wird als Doorman-Wohnen umgestaltet.

Um die Wohnungen weiter aufzuwerten, integrierten ksg in die denkmalgeschützte Fassade Loggien für die neuen Bewohner. Hier konnte das Architekturbüro seine Erfahrungen aus dem Siebengebirge verwenden. Denn auch dort konnte ksg mit viel Finesse und Sorgfalt in die Fassade eines denkmalgeschützten Gebäudes involvieren. Die alten Holzfenster werden gegen Aluminiumfenster ausgetauscht, die Farbigkeit bleibt erhalten. In Abstimmung mit dem Denkmalschutz können Fensterbrüstungen abgesenkt und mit einer absturzsicheren Glasbrüstung versehen werden. Eine weitere Besonderheit von Haus Gerling: Es wird nach oben hin schmaler. Für die serielle Fertigung natürlich eine große Herausforderung.

 

Die Hochhaus-Tragstruktur

Das Hochhaus stellt mit seinen besonders schlanken Außenwandstützen und leichten Außenwandriegeln eine beachtliche Weiterentwicklung im deutschen Stahlbau dar. Diese Stockwerksrahmenkonstruktion mit einem verhältnismäßig engmaschigen Raster von 1,8 m Stützenabstand und einer damals neuen Form der Knotenausbildung ermöglichte es, der Fassade ein äußerst filigranes Erscheinungsbild zu geben. Durch das Schweißen der Rahmenknoten entfielen die oft formal sehr störenden großen Rahmenecken. Die Geschossdecken bestehen aus Stahlträgern mit dazwischen betonierten ca. 10 cm dicken Stahlbetonplatten. Die Träger sind immer im Achsraster von 1,80 m senkrecht zur Fassade angeordnet worden. Sie lagern im Innern auf Unterzügen auf, die in Verbindung mit den 6 Mittelstützen das innere Tragskelett bilden. Die sechs Innenstützen besitzen Doppel-T Querschnitte und wurden in den unteren Geschossen durch symmetrisch beigestellte U-Profile verstärkt. Horizontale Verbände im 3., 6., 9. und 12. Geschoss unterstützen zusammen mit den 8 über die gesamte Gebäudehöhe in Stahlbeton ausgeführten Eckfeldern die Aussteifung der Konstruktion.

Für die realitätsnahe Abbildung der Hochhaus-Tragstruktur wurde der gesamte Bestand räumlich erfasst. Damit konnten jeder Stab und jedes Tragelement mit seinen spezifschen Eigenschaften und Eigenarten im statischen System eingefügt werden. Punktuelle Tragfähigkeitsüberschreitungen konnten so zielgerichtet und mit minimalem Aufwand behoben werden. Beispielhaft seien hier die beiden zweigeschossigen Stützen im Luftraum der Galerie im EG und im 1. OG (Achse 7) genannt. Die zusammengesetzten Bestandsstützen wurden durch zwei zusätzliche 20 mm starke Stegbleche verstärkt, ohne die Stützenfäche zu vergrößern. Auch konnten tragwerksrelevante Entwurfsanpassungen bezüglich ihrer verschiedenen Auswirkungen sehr schnell bewertet und optimiert werden. Exemplarisch steht hierfür der Gebäudekern, der aus bauordnungsrechtlichen Gründen formal und geometrisch modifiziert werden musste. Hierdurch bedingt mussten nur in diesem Bereich einige angrenzende Deckenfelder ausgebaut werden. Die neuen Strukturen wurden in Stahlbeton ergänzt und dabei so ausgelegt, dass sie u. a. auch die Einwirkungen aus Erdbeben, Wind und Imperfektionen sicher abtragen können und somit die vorhandene Stahlkonstruktion entlasten. Zudem erhöhte dieser aussteifende Betonkern die Freiheit der Grundrisse.

Fertigstellung
2015
Architekt
Helmut Hentrich, Hans Heuser, 1953 Sanierung: kister scheithauer gross architekten und stadtplaner GmbH, Köln
Ingenieur
HIG Hempel Ingenieure GmbH, Köln
Bauherr
Gerling
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