Das neue Albertinum: eine „Arche“ für die Kunst

Bericht der Architekten
Jeder Eingriff in eine historische Bausubstanz ist mit Zerstörung, aber auch mit der Chance verbunden, das vergessene, manchmal unbeachtete Potenzial eines Gebäudes freizulegen oder eine neue unerkannte Qualität zu entdecken. Diese Chance ergab sich bei der Umgestaltung des Dresdner Albertinums.
Das Gebäude wurde im 16. Jahrhundert als kurfürstliches Zeughaus errichtet und zählte zu den berühmtesten Renaissancebauwerken in Dresden. Nach einigen kleineren baulichen Veränderungen Anfang des 18. Jahrhunderts wurde es Ende des 19. Jahrhunderts in Teilen als Museum und Staatsarchiv umgebaut und erhielt seinen heutigen Namen. Auf die partielle Zerstörung im Zweiten Weltkrieg folgte ein rascher Wiederaufbau. Diese vielfältigen und vielschichtigen Veränderungen und Transformationen des historischen Bestandes sind auch heute noch in vielen Bereichen des Hauses ablesbar und stellen aus unserer Sicht eine reizvolle, auch räumlich erfahrbare Qualität dieses denkmalgeschützten Gebäudes dar.
Foto: Werner Huthmacher
In den gewölbten Kellern des Albertinums lagerten über Jahrzehnte wertvolle Bestände der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Aufgeschreckt durch die Flut im Sommer 2002 und initiiert durch das unmittelbare Bedürfnis, die Kunst in einem vom Wasser unerreichbaren Ort zu lagern, ergab sich eine Konstellation, die anfangs nicht abzusehen war: die Chance einer kompletten Überarbeitung und Neuorganisation des historischen Gebäudes. Als wir mit der Bearbeitung unseres Wettbewerbsbeitrags für die Planung des Depot- und Werkstattgebäudes im Innenhof des Albertinums begannen, stellten wir fest, dass auch die komplette äußere und innere Erschließung des Albertinums einer grundlegenden Überarbeitung bedurfte. Die einzelnen Ausstellungsbereiche konnten nur über komplizierte Wegeführungen erreicht werden. Dem Haus fehlte ein erlebbares Zentrum, und der weiträumige zentrale Innenhof der Vierflügelanlage war zu einem Abstellraum und Parkplatz verkommen. Diesen Raum aber nun mit einem großen Bauvolumen für das neue Depot- und Werkstattgebäude zu füllen und damit sein Potenzial für immer zu verlieren, schien uns daher nicht die richtige Lösung.
So war die Idee geboren, den Neubau nicht in, sondern über den Hof zu bauen. Sie löste auf verblüffend einfache Weise eine Großzahl der vorhandenen Probleme. Über einen neuen Eingang zusätzlich zu dem Zugang an der Brühlschen Terrasse ist das Haus besser in die Bewegungsströme der Stadt eingebunden. Beide Eingänge führen direkt in den nun überdachten Innenhof, der alle öffentlichen Infrastruktureinrichtungen des Museums beherbergt und heute das eindeutige räumliche Zentrum des Hauses darstellt.
Dieser neue Lichthof dient nicht nur der eingängigen Orientierung im Haus, sondern bildet auch ein öffentliches Forum, als ein Ort, an dem Kunst und soziale Aktivitäten sich kreuzen. Von hier aus sind alle Ausstellungsräume direkt zu erreichen, und das von der Grafikdesignerin Yang Liu entworfene Leitsystem mit den großen weißen Leuchtschriften unterstützt diese vereinfachte Orientierung im Haus zusätzlich.
Nicht der Neubau des schwebenden Depots, sondern dieser für das Museum gerade in seiner Ausrichtung auf die Kunst der jüngeren Zeit so wichtige neue Raum sollte im Zentrum der Aufmerksamkeit der Besucher stehen. Dies hatte folgerichtig zur Konsequenz, den Neubau als ein beinahe unsichtbares Gebäude über den Hof zu legen. Um der zweigeschossigen Konstruktion etwas von ihrer Schwere zu nehmen, aber auch um dem neuen Innenhof sein selbstverständliches Licht zu geben, entschieden wir uns, den Neubau über die Längsseite vom Altbau abzulösen und so seitlich einfallendes Tageslicht zu ermöglichen. Die Untersicht des Baukörpers bespannten wir mit einer akustisch wirksamen, transluzenten Folie, die von unten angestrahlt wird. Über die Rückreflektion der dahinter geschlossenen, aber hell gestalteten Deckenfläche wird der Anschein einer Lichtdecke erzeugt. Doch ist der Neubau nicht nur von innen kaum zu erahnen, er tritt auch in der Stadtsilhouette nicht in Erscheinung, da sich das Volumen genau zwischen First und Traufe des Altbaus befindet und damit die historische Firstlinie nicht überragt.
Die Entscheidung, die gesamte Brückenkonstruktion über die Längsachse des Hofes zu spannen, ergab sich sowohl aus der Vorgabe, möglichst wenige Eingriffe in die historische Substanz vorzunehmen, als auch aus der konstruktiven Tatsache, dass die statische Höhe der zweigeschossigen Konstruktion diese Spannweite problemlos überbrücken konnte. Die Lasten dieses Neubaus werden versteckt über den neuen Lastenaufzug an der Ostseite des Hofes sowie zwei etwa 1 qm große, hinter der historischen Fassade verborgene Stützenkonstruktionen abgetragen.
Der als Stütze herangezogene Lastenaufzug bildet ein wichtiges, nicht nur statisches, sondern auch organisatorisches Rückgrat dieses neu konzipierten Museums. Durch die Verlegung aller interner Bereiche des Museums auf die Seite des Lastenaufzugs entstehen mit den Bürobereichen, den Werkstätten, den Depotbereichen sowie der Anlieferungszone gut strukturierte interne Funktionszusammenhänge mit kurzen Wegen und direkten Verbindungen. Neubau und alle Ebenen des Altbaus sind über diesen neuen Lastenaufzug miteinander verbunden. In dem zweigeschossigen Neubau selbst ist im unteren Geschoss ein knapp 1400 qm großes Gemäldedepot untergebracht. Im oberen Geschoss befinden sich die zentralen Werkstätten der Gemälderestaurierung mit großen Atelierräumen, welche mit für die Arbeit der Restauratoren überaus günstigem Seitennordlicht versorgt werden.
Konstruktion
Das Tragwerk der Depot- und Werkstattgeschosse im Neubau über dem Hof wurde als stählerne Fachwerkbrücke in Längsrichtung des Hofs mit einer Spannweite von ca. 72,0 m geplant. Die Lastabtragung erfolgt auf den Schmalseiten des Innenhofs in Form von hinter der Hoffassade angeordneten Stützen sowie eines in den Altbau eingefügten, neuen Stahlbetonkerns. Der zentrale Raum bleibt von der Tragkonstrution unberührt.
Die Konstruktion der „Brücke“ ist ein räumliches Stabwerk, dessen Haupttragglieder durch vier Fachwerkverbände aus Stahl mit einer maximalen Spannweite von rund 72,0 m gebildet werden. Durch die Fachwerkträger, welche sich über beide Depotgeschosse erstrecken und dadurch etwa 9,00 m statische Höhe erreichen, entsteht ein optimales Verhältnis von Höhe zu Spannweite (1:8) und dadurch ein möglichst geringes Eigengewicht der Konstruktion.
Nachhaltigkeit
Im Rahmen der Sanierung des Bestandes und dem Neubau der Depot- und Werkstattflächen wurde großen Wert auf die technische Erneuerung und klimatische Optimierung des Gebäudes gelegt. Allein durch den Einbau der Arche über dem Innenhof entsteht ein klimatischer Pufferraum, wodurch die thermische Stabilität des Gebäudes wesentlich erhöht wird.
Die für die musealen Bereiche und die Depotbereiche vorgegebenen Klimaparameter werden durch eine sinnvolle Gebäudeorganisation und durch nachhaltige technische Lösungen erreicht. So werden die sensiblen Depotbereiche im unteren Geschoss der Arche untergebracht, wodurch das Klima ohne äußere Einflussfaktoren leicht stabil gehalten werden kann. Über die Nutzung des Grundwassers wird ein Großteil der nötigen Kühllast zur Verfügung gestellt. Dies ist nicht nur eine wirtschaftliche und ökologisch sinnvolle Technik, sondern ermöglicht auch im Sinne des Denkmalschutzes auf konventionelle Rückkühltechnik auf dem Dach des Albertinums zu verzichten.
Preis des Deutschen Stahlbaues 2012 - Auszeichnung
Laudatio der Jury
Die Aufgabenstellung war, das in seiner Geschichte oft umgeformte Gebäude um ein Werkstatt- und Depotgebäude im Innenhof zu erweitern.
Die Entwurfsidee eines „schwebenden Depots“ wurde mit einer Brückenkonstruktion aus Stahl überzeugend umgesetzt. Der Innenhof wird mit den beiden Geschossen, welche die neuen Räume aufnehmen, überdacht und so zum neuen Mittelpunkt des Museums. Selbstverständliches Licht und zurückhaltende Tonalität geben diesem träumerischen Ort eine eigene, die Geschäftigkeit der Stadt konterkarierende, stille Magie.
So entstand eine herausragende architektonische Gesamtkonzeption, die sowohl dem denkmalgeschützten Gebäude seine Referenz erweist, ein neues Zentrum gibt, als auch die stadtgestalterisch so wertvolle Silhouette von Dresden bewahrt.