Fuß- und Radwegbrücke Hagelsbrunnenweg

Auszeichnung
Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaues 2015
Kategorie Brückenbau
Stephan Engelsmann (Engelsmann Peters Beratende Ingenieure, Stuttgart )
Fuß- und Radwegbrücke Hagelsbrunnenweg
Laudatio
Das Brückenbauwerk überzeugt mit einem überdurchschnittlich hohen Anspruch an die Gestaltqualität. Das zeigt, dass auch bei kleinen Bauaufgaben mit bescheidenem Kostenrahmen individuell konzipierte und gestalterisch hochwertige bauliche Lösungen möglich sind.
Basierend auf dem simplen statischen Prinzip des Einfeldträgers wurde eine elegante Brückenkonstruktion entworfen, die allen Bedingungen wie der Nutzung der bestehenden Widerlager mit vergleichsweise großem Höhenunterschied oder den sicherheitstechnischen Erfordernissen seitens der Bahn entspricht.
Die liebevolle ästhetische und konstruktive Durchbildung erfolgte bis in die Details: auch das ist Ingenieurbaukunst.
Erläuterungsbericht von Stephan Engelsmann | Engelsmann Peters Beratende Ingenieure | DStV zur Einreichung beim Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaues:
Aufgabenstellung
Das Büro Engelsmann Peters wurde mit der Gesamtplanung des Brückenbauwerks beauftragt, so dass von Beginn an eine optimale Verknüpfung von Objektplanung und Tragwerksplanung gegeben war. Die Fuß- und Radwegbrücke überspannt eine zweigleisige S-Bahn-Trasse sowie die zugehörigen Stützwand- und Böschungsbereiche in einem Waldgebiet in Stuttgart-Vaihingen. Die Brücke ist ein Ersatzneubau für eine abgängige Holzbrücke, deren Ausführung vom Bauherrn aus Gründen der Dauerhaftigkeit in Stahlbauweise gewünscht wurde. Die bestehenden Beton-Widerlager mussten für den Neubau verwendet werden und wurden dem neuen Bauwerk entsprechend angepasst. Zu den vorhandenen Oberleitungen der Deutschen Bahn war ein Lichtraumprofil mit vorgegebenem Sicherheitsabstand einzuhalten, der ca. 30cm unterhalb der OK des unteren Widerlagers verläuft, und über den der Brückenüberbau unter Beachtung von Überbauverformungen nicht hinausragen durfte. Gleichzeitig musste die Brückengradiente einen Höhenunterschied von 1,60m über eine Gesamtlänge von ca. 27,5m überwinden. Die nutzbare Breite wurde mit 2,20m und die Höhe der Geländerholme mit 1,30m vorgegeben. Nach den Sicherheitsrichtlinien der Bahn musste beidseitig unmittelbar über jeder Oberleitung ein Berührschutz angeordnet werden. Während der Bauarbeiten und Montage war keinerlei Beeinträchtigung des Bahnbetriebs zulässig.
Foto: Engelsmann Peters
Da der Brückenstandort in einem Waldgebiet liegt und die Einrichtung einer Baustelle nur sehr bedingt möglich war, wurde von Beginn an auf eine Lösung hingearbeitet, bei der das Brückenbauwerk mitsamt dem Geländer fast vollständig im Werk gefertigt werden konnte. Der Brückenkörper wurde in einem nächtlichen Straßentransport mit Sondergenehmigung auf die Baustelle gebracht. Berührschutz und Geländer wurden nachträglich vor Ort angeschweißt. Auch das Einheben der Brücke musste bei Nacht erfolgen, weil das Einschwenken des Überbaus in seine endgültige Position zwischen Fahrdrähten und Speiseleitungen der Bahn ausschließlich während der nächtlichen Betriebspause bei abgeschalteten Stromleitungen möglich war. Der Überbau wurde mit Hilfe von zwei mobilen Kränen innerhalb von nur zwei Stunden in die geplante Position gebracht.
Lösungsweg
Gestaltung
Während der Entwurfsphase wurden konzeptionell und statisch-konstruktiv unterschiedliche Entwurfsvarianten entwickelt und detailgetreu visualisiert, um eine möglichst realistische Beurteilung der Alternativen vornehmen zu können. Form und Konstruktion der Brücke sind abgeleitet aus der ganzheitlichen Verknüpfung von geometrischen Randbedingungen, gestalterischen und fertigungstechnischen Überlegungen sowie dem Kraftfluss. Die nutzbare Brückenbreite (lichtes Maß zwischen den Handläufen des Brückengeländers) des 28 m langen Bauwerks misst 2.2m, die maximalen Außenabmessungen inkl. Berührschutz betragen ca. 6.0m. Der Höhenunterschied der beiden Brückenenden von ca. 1.6m wird in der Ebene des Gehweges durch eine gegensinnige Krümmung der Brückengradiente aufgenommen, um funktional und visuell störende Knicke zu vermeiden. Da die bestehenden Widerlager, die jeweils an den Brückenenden positioniert sind, für den Neubau verwendet werden mussten, lag die Ausbildung der Brücke als Einfeldträger nahe. Das Tragwerk konnte unter Beachtung von Überbauverformungen und Sicherheitsräumen über den Lichtraumprofilen der S-Bahn unter dem Gehweg angeordnet werden. Der Überbau besteht im Querschnitt aus einem rechteckigen Oberteil, das den Gehweg bildet, und einem dreieckförmigen Unterteil mit in Richtung der beiden Überbauenden abnehmender Querschnittshöhe und Querschnittsbreite. Die maximale Bauhöhe ergibt sich in Feldmitte. Der östliche Teil des Überbaus besitzt fortführend eine horizontale, der westliche Teil eine geneigte Überbauunterkante. Die geschwungene Oberkante und die geraden Unterkanten des Überbaus wirken optisch spannungsvoll zusammen. Die Randkappen des Gehwegs sind Bestandteil des tragenden Querschnitts. Die nach außen geneigten Bleche der Randkappen bilden eine schlanke Ansichtskante, deren farbliche Absetzung den eleganten Schwung der Gehwegplatte betont und einen deutlich wahrnehmbaren, aber harmonischen Akzent in der grünen Umgebung setzt.
Ein besonderes Merkmal des Bauwerks ist, dass die Bestandteile der Brückenausrüstung wie Geländer und Berührschutz mit großer Sorgfalt in das Gestaltkonzept integriert sind:
Die Geländerkonstruktion wurde mit Rücksicht auf die Umgebung maximal transparent mit einer vorgespannten Seilnetzfüllung ausgebildet, die auf jeder Seite aus nur einem einzigen kontinuierlichen Netz besteht. Das obere Profil des Seilnetzrahmens wurde in den Handlauf integriert. Die dunkelgrauen Pfosten bilden die einzigen vertikalen Elemente des Geländers.
Der aus Sicherheitsgründen erforderliche Berührschutz über den Gleisen ist bewusst zu einem gestaltprägenden Element entwickelt worden, das in Form von seitlich angesetzten, gläsernen Flügeln das prägnante Erscheinungsbild der Brücke unterstreicht.
Konstruktion
Der statisch bestimmt gelagerte Einfeldträger kann Temperaturverformungen in Brückenlängsrichtung über entsprechende Verschiebungen kompensieren, der Festpunkt befindet sich am östlichen Brückenwiderlager. Der Querschnitt, der als mehrzelliger Hohlkasten konstruiert wurde, besteht aus einer oben angeordneten, 183mm hohen und 3000mm breiten Gehwegplatte und einem darunter liegenden Rumpf mit veränderlichem dreieckigem Querschnitt. Die seitlichen Aufkantungen des Gehweges dienen der Führung des Niederschlagswassers und der Befestigung der Geländer. Sie sind außenseitig mit geneigten Einzelblechen ausgebildet, um die Überbauoberkante in der Ansicht schlank erscheinen zu lassen. Breite und Höhe des Rumpfes nehmen in gleichem Maß ab, so dass die geneigten Seitenbleche wirtschaftlich aus ebenen Blechen gefertigt werden konnten. Der Rumpf erreicht seine maximale Höhe in Brückenmitte und nimmt zu den Auflagern hin ab. Die Gesamtquerschnittshöhe von Rumpf und Gehweg beträgt in Feldmitte 1240 mm und über den Widerlagern 450mm. Der Hohlkasten wird im Querschnittsinneren durch in regelmäßigen Abständen angeordnete, offene Querschotte stabilisiert. Diese reduzieren in Verbindung mit in Brückenlängsrichtung angesetzten Steifen die geometrischen Abmessungen der Beulfelder. Das Konstruktionsprinzip des Hohlkastenträgers mit veränderlicher Querschnittsgeometrie ist konstruktiv und fertigungstechnisch anspruchsvoll, aber sehr leistungsfähig, weil die Stahlbleche des oberen Querschnittsteiles vollumfänglich statisch mitwirken. Der dreieckige Rumpf mündet beidseitig über den Brückenlagern in unterseitig angeordnete Querträger mit veränderlicher Breite, die auf den von außen zugänglichen, bewehrten Elastomerlagern aufliegen. Torsionsbeanspruchungen werden vom Hohlkasten bis zu den Auflagerquerträgern abgetragen, und von diesen über die Lager in die Brückenwiderlager eingeleitet. In diesen konstruktiv anspruchsvollen und hochbeanspruchten Auflagerquerträgern erfolgt auch die Verankerung des Zugbandes, das in Form eines 50mm dicken Stahlbleches ausgebildet ist und entlang der Unterkante des Rumpfes verläuft.
Für den Korrosionsschutz gelangte ein mehrschichtiges Anstrichsystem entsprechend DIN EN ISO 12944 Korrosionsschutzklasse C3 lang nach ZTV-ING zur Ausführung. Die innen liegenden Flächen sind aus Korrosionsschutzgründen luftdicht geschweißt und lediglich mit einer Grundbeschichtung versehen.
Zusammenfassung
Fußgängerbrücken sind Ingenieurbauwerke mit einem überdurchschnittlich hohen Anspruch an die Gestaltqualität, weil sie von Menschen unmittelbar erlebt werden können. Standardlösungen können einem solchen Anspruch kaum gerecht werden. Der neue Fußgängersteg zeigt, dass es auch bei kleinen Bauaufgaben mit bescheidenem Kostenrahmen gelingen kann, individuell konzipierte und gestalterisch hochwertige bauliche Lösungen zu finden. Voraussetzung ist ein ganzheitlicher Entwurfsprozess, bei dem die Aspekte Gestaltqualität, Tragwerkslogik und fertigungsgerechtes Konstruieren von Planungsbeginn an Berücksichtigung finden. Für das Erscheinungsbild von großer Bedeutung ist eine sorgfältige Detailplanung, die auch die Brückenausrüstung umfasst.
Basierend auf dem simplen statischen Prinzip des Einfeldträgers wurde eine elegante Brückenkonstruktion entworfen, die allen Bedingungen wie der Wiederverwendung der bestehenden Widerlager, dem vergleichsweise großen Höhenunterschied über eine relativ geringe Spannweite, den sicherheitstechnischen Erfordernissen seitens der Bahn und nicht zuletzt einem begrenzten finanziellen Budget Rechnung trägt. Eine besonders sorgfältige Detailausbildung sowie die Farbgebung leisten dabei substantielle Beiträge zur Gestaltqualität. Notwendige Bestandteile der Brückenausrüstung wie Brüstung und Berührschutz sind mit großer Sensibilität in das Entwurfskonzept integriert worden. Insbesondere der aus Sicherheitsgründen erforderliche Berührschutz, der bei Fußgängerüberführungen über Bahngleise immer ein deutlich wahrnehmbares Bauteil darstellt, wurde bewusst zum gestaltprägenden Element entwickelt. Für die aus VSG aus TVG beidseitig liniengelagerten Verglasung musste ein ergänzendes Gutachten eingeholt werden, das die die Unbedenklichkeit der Konstruktion im Hinblick auf Glasbruch aus dynamischer Beanspruchung bestätigt hat.
Entstanden ist ein filigranes Bauwerk, bei dem Konstruktion und Gestaltung in optimaler Weise zu einer Einheit verschmelzen.