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Geh- und Radwegbrücke über den Ölhafen in Raunheim

bauforumstahl

 

Preis des Deutschen Stahlbaues 2014
Auszeichnung

Architekt: schneider + schumacher Planungsgesellschaft mbH, Frankfurt
Ingenieur: SPI Schüssler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, Frankfurt
Stahlbau: Bilfinger MCE GmbH, Linz/ Österreich
Bauherr: Stadt Raunheim

Laudatio
Die Geh- und Radwegbrücke über die Einfahrt des Ölhafens bei Raunheim stellte aufgrund ihrer Lage besondere Anforderungen.

Die gefundene Lösung einer Asymmetrie zwischen Offenheit zum Fluss und Schutzwand überzeugt. Ihre skulpturale Form und Dynamik bekommt die Brücke aus der kurzen Verbindung in die Landschaft auf der einen Seite und einer Spirale auf der anderen Seite. Das Bauwerk bietet sowohl eine schnelle Überquerung, als auch Sicherheit und Blicke auf den Fluss. Der L-förmige Stahlhohlkasten, wegen der Schutzfunktion gewählt, beteiligt sich auch am Lastabtrag. So konnte die Bauhöhe der Lauffläche gering gehalten werden.

Die anspruchsvolle, geschweißte Stahlkonstruktion aus dreidimensional verformten Blechen erforderte eine gute Zusammenarbeit von Architekten, Statikern und Fertigung.


Erläuterungsbericht von Ingo Weißer | Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH; Pressemitteilung von schneider+schumacher Planungsgesellschaft mbH:

Einleitung
Die Ölhafenbrücke in Raunheim stellt in vielerlei Hinsicht Verbindungen her: räumlich, gestalterisch und interdisziplinär. Der Entwurf für die skulpturale Brücke stammt vom Frankfurter Architekturbüro Schneider+Schumacher, die Objekt- und Tragwerksplanung wurde von Schüßler-Plan erbracht.

Die weiße Konstruktion der neuen Ölhafenbrücke stellt sich elegant geschwungen dar. Mit einer als Spirale ausgebildeten Auf- bzw. Abfahrt überbrückt sie die 70 m breite Raunheimer Hafenzufahrt. Seit 1965 stellt die skulpturale Brücke damit erstmals die Verbindung des traditionellen Fuß- und Radwegenetzes Mainz - Frankfurt - Aschaffenburg auf der südlichen Mainseite wieder her. Bisher endete es als Sackgasse an der Einfahrt zum Raunheimer Ölhafen. Die unattraktive Umfahrung des Hafens war wegen der vorhandenen Infrastruktur nur großräumig möglich.

Grafik: Helen Schiffer

Standort

Ölhafen
Die besondere Lage der neuen Brücke über einer Ölhafeneinfahrt und parallel zu einem Tanklager stellte besondere Anforderungen an die Ausbildung des Bauwerks. Im Großtanklager werden hochentzündliche Treibstoffe für den Flughafen Frankfurt am Main umgeschlagen und gelagert. Die mit Kraftstoffen beladenen Schiffe queren unter dem Überbau und werden in unmittelbarer Nähe zur Brücke geleichtert.

Insbesondere der Eintrag von Zündquellen, zum Beispiel durch Wegwurf von Zigaretten, stellt ein Sicherheitsrisiko dar und muss durch eine geeignete Ausbildung des Brückenbauwerks wirksam verhindert werden. Zur Erlangung des Baurechts war daher eine bauliche Sicherheitswand in Richtung Ölhafen zum Schutz der Fußgänger für den Fall einer Havarie gefordert. Der Überbau sollte zudem baulich so ausgebildet werden, dass ein direkter Zugriff auf die querenden Tankschiffe durch Brückenbenutzer verhindert bzw. erschwert wird.

Main
Der Standort der Brücke ist neben dem industriellen Charakter des Ölhafens durch den parallel verlaufenden Main mit den landschaftlich attraktiven Ufern und alten Baumbeständen geprägt. Die Brücke wird vorwiegend von Freizeitsportlern, Fahrradfahrern und Fußgängern genutzt. In der Aufgabenstellung waren der Erlebnis- und Freizeitwert sowie die exponierte Lage der Brücke mit Blickbeziehungen auf den Fluss und die Mainufer gleichbedeutend mit den funktionalen Anforderungen.

Foto: Sabine Reddig

Entwurfsidee
Vor dem Hintergrund der besonderen Rahmenbedingungen wurde eine Brückenlösung entwickelt, die neben den erforderlichen sicherheitstechnischen Anforderungen also auch der besonderen exponierten Lage der Brücke parallel zum Main Rechnung trägt. Ziel des Entwurfes war, die Funktion als Freizeitbrücke zu unterstreichen und trotz aller Sicherheitsanforderungen vor allem die Blickbeziehungen vom Überbau auf den Fluss frei zu halten.

„Ein Band, das wie ein geschwungener Pinselstrich beide Seiten des Raunheimer Ölhafens verbindet“, war laut Prof. Michael Schumacher (Architekt und Inhaber des Büros) Leitgedanke des Gestaltungskonzepts. Aufgrund der Lagerung hochentzündlicher Stoffe im Tanklager, bestimmten zudem hohe Schutzanforderungen Entwurf und Planung. Ergebnis der Verbindung von Gestaltungskonzept und Sicherheitsanforderungen ist die elegant geschwungene, skulpturale Gestalt der Brücke: „Aus der geforderten Schutzfunktion entsteht durch die besondere Gestaltung eine schwungvolle und dynamische Brücke die ein wichtiges und freudvolles Verbindungsstück für den Rad- und Wanderweg am Main entlang darstellt.“ (Prof. Michael Schumacher)



Überbau
Zur Überbrückung des Ölhafens wurde eine Stahlbrücke mit angegliederten Rampenanlagen realisiert. Das Bauwerk weist in der Draufsicht eine leicht geschwungene S-förmige Linienführung auf, die am nördlichen Ufer in ein kreisrundes Rondell übergeht. Der Überbau mit einer Gesamtlänge von zirka 170 Metern besteht aus einem 5-feldrigen Durchlaufträger, wobei die Hafeneinfahrt mit einer Stützweite von rund 70 Metern frei überspannt wird. Das semi-integrale Bauwerk erhielt nur am südlichen Widerlager Achse 10 eine längsverschiebbare Lagerung. Der Festpunkt der Brücke befindet sich an der Uferstütze Achse 40, wo der Überbau auf der Stahlbetonwand des Rondells aufliegt und mit dieser Geh- und Radwegbrücke über den Ölhafen in Raunheim kraftschlüssig verbunden ist. Alle weiteren Stahlstützen wurden monolithisch mit dem Überbau verbunden. Durch die geometrische Ausbildung der Stützen und der Anordnung der Bohrpfähle war eine zwängungsarme Verformung des Überbaus in Brückenlängsrichtung möglich.

Die Auf- bzw. Abfahrt ist als Spirale (Durchmesser 14 m) aus weißem Beton ausgebildet. Die Spirale baut sich auf der dem Ölhafen zugewandten Seite zu einer weich geschwungenen, hohen Sicherheitswand auf und trägt somit den Schutzanforderungen Rechnung. Zur Mainseite hin gibt sich die Brücke hingegen offen und lässt den direkten Blick auf den Main zu

Foto: Sabine Reddig

Nach einer kompletten Kreisbewegung geht die Spirale in eine ebenfalls weiße, grazil geschwungene Stahlkonstruktion über, die den Fluss überbrückt. Die Bücke fügt sich elegant in ihre Umgebung ein. Sowohl Farbe als auch Gestalt stellen diskret die Verbindung zum Hafenumfeld her: Der weiße Anstrich des Bauwerkes passt zur weißen Hülle der Tanks im Lagerhafen; das große Rondell nimmt von oben betrachtet die Form der Tankbehälter auf. Zudem wird durch die Verwendung eines homogenen Lackes das Wasser unter der Brücke reflektiert und die Brücke optisch am Ort verankert. Der Bodenbelag wird dem dunklen Asphalt, der auf die Brücke zuführt, nachempfunden. So bleibt der Weg beim Übergang auf die Brücke klar erkennbar und verstärkt durch den Hell-Dunkel-Kontrast deren Schwung.

Brückenquerschnitt
Die Besonderheit des Entwurfs liegt vor allem in dem gewählten Brückenquerschnitt. Dieser besteht aus einem L-förmigen Stahlhohlkasten, der in einem Synergieeffekt mehrere Vorteile in sich vereint. Die seitliche senkrechte Wand des Kastens weist ab der Oberkante der Lauffläche eine Höhe von bis zu 2,8 Metern auf und bildet die erforderliche Abschirmung in Richtung Ölhafen. Neben dieser Schutzfunktion beteiligt sich die vertikale Wand auch am statischen Lastabtrag, wodurch die Bauhöhe unter der Oberkante der Lauffläche gering gehalten werden konnte. Die zu überwindende Höhe zwischen dem anstehenden Gelände und der Brücke konnte so auf ein Minimum reduziert werden.

Auf der Mainseite wird der Brückenkörper bis zu 2,5 Meter über die Geländerlinie hinaus verbreitert. Der Überstand hat die Funktion eines horizontalen Berührungsschutzes.

Zusätzlich wird das Geländer schräg gestellt, um die Fußgänger weit genug von der Brückenkante fernzuhalten. Mit diesen Maßnahmen wird die Gefahr eines Zündquelleneintrags über der Hafeneinfahrt deutlich minimiert.

Überbaugeometrie
Der Stahlkasten ändert im Verlauf der Brücke neben der Höhe der vertikalen Wand des Hohlkastens auch kontinuierlich seine Breite.

Im Hinblick auf eine wirtschaftliche Herstellung des Stahlkastens erfolgte die Querschnittsentwicklung nach dem folgenden Konstruktionsprinzip. Der L-förmige Kasten setzt sich aus insgesamt 6 äußeren Blechen zusammen. Die Lage der einzelnen Bleche wird im Verlauf der Brückenachse jeweils nur durch eine Parallelverschiebung verändert, der Winkel zur Horizontalen bleibt somit, bezogen auf den Querschnitt, konstant gleich. So wird erreicht, dass die Bleche in großen Bereichen des Bauwerks im Wesentlichen nur eine einachsige Krümmung in Richtung der Brückenachse erhalten. Durch dieses Prinzip wurde die Ausführung von doppelt gekrümmten Blechen vermieden, mit Ausnahme der Bereiche des Rondells sowie der dem Main zugewandten Nase.

Die komplexe Geometrie des Überbaus erforderte eine Bearbeitung in einem 3-dimensionalen Modell. Auf Grundlage dieses Modells konnte die Werkstattplanung aufgebaut werden.

Foto: Sabine Reddig
 

Unterbauten
Die Stützen der Achse 20 und 30 bestehen aus sich kreuzenden Stahlrohren mit einem Durchmesser von 610 Millimeter bzw. 1016 Millimeter, die monolithisch mit dem Überbau und dem Fundament verbunden sind. Die Ausführung der Stützen wurde als aussteifendes Kreuz geplant, um eine Gabellagerung des Überbaus zu gewährleisten. Die torsionssteife Lagerung des Überbaus vor allem in Achse 30 leistet einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung des Schwingungsverhaltens der Brücke.

Die Rampe am nördlichen Ufer wurde als Rondell gelöst. Der untere Halbkreis des Rondells besteht aus einer modifizierten Winkelstützwand, die sich fließend aus der Geometrie des Stahlüberbaus heraus entwickelt. Die zweiachsige Krümmung des Stahlüberbaus wird in der anschließenden Betonwand fortgesetzt. Die Wand dient neben ihrer eigentlichen Aufgabe zur Stützung des Erdwalls und Schutzwand zum angrenzenden Ölhafen auch gleichzeitig als Auflager für den Stahlüberbau. In Achse 40 wird der Stahlüberbau monolithisch mit dem Betonunterbau mittels vorgespannter Anker aus Gewindestäben und Kopfbolzendübel verbunden.

Bestehende Hafenspundwände
Bei der Planung der Gründungen mussten die bestehenden rückverankerten Hafenspundwände im Bereich der Hafeneinfahrt berücksichtigt werden. Die horizontalen Rückverankerungen durften geometrisch nicht tangiert werden, zudem musste ein zusätzlicher Lasteintrag in die Spundwände konstruktiv verhindert werden. Die an die Hafenwand angrenzenden Bohrpfähle der Achse 30 und 40 wurden deswegen mit einer doppelten Verrohrung bis in Höhe der Hafensohle ausgeführt, um eine Lastübertragung durch Mantelreibung und horizontaler Bettung auf die Spundwand auszuschließen.

Dynamisches Verhalten
Die Brücke wurde in der Planungsphase auf das Entstehen von fußgängerinduzierten Schwingungen untersucht. Die Berechnungen zeigten, dass sich die rechnerisch ermittelten Beschleunigungen im unteren Komfortbereich der anzusetzenden Brückenklasse bewegen.

 

Um eine Nachrüstung mit Schwingungsdämpfern zu ermöglichen, wurden im Stahlkastenquerschnitt Nischen, sogenannte Tilgerkammern, eingeplant, in die von der Lauffläche aus nachträglich Schwingungstilger eingesetzt werden können. Zur Beurteilung des tatsächlichen Schwingungsverhaltens wurde nach Fertigstellung des Brückenbauwerks ein In-Situ-Versuch durchgeführt mit dem Ergebnis, dass eine Nachrüstung von Tilgern nicht erforderlich war.


Ausstattung
Auf der dem Main zugewandten Seite wurde ein 1,2 Meter hohes Stahlgeländer mit einer Füllung aus einem transparenten Edelstahlnetzgewebe realisiert. Die Befestigung des Netzes erfolgte oben und unten je durch ein Rundrohr, die zusammen mit den Handläufen dem bogenförmigen Brückenverlauf folgen.

 

Die Brücke erhielt zudem eine Effektbeleuchtung aus LED-Leuchtröhren, die optisch versteckt im Handlauf des Geländers untergebracht sind. Der Lichtkegel beleuchtet nach unten geneigt sowohl das Geländer als auch die Nutzfläche der Brücke. Infolge der durchgehenden Handlaufbeleuchtung wird der geschwungene Brückenkörper bei Nacht in Szene gesetzt.

Bauausführung
Der Stahlüberbau wurde in einem Werk gefertigt und in transportablen Schüssen per LKW auf die Baustelle geliefert. Die Montage der Uferfelder erfolgte auf Montagegerüsten. Der 70 Meter lange Brückenabschnitt über der Hafenöffnung wurde auf der Landseite und parallel zum Hafenbecken montiert. In einer Wochenendsperrpause des Ölhafens wurde der zirka 200 Tonnen schwere Überbau von einem Schwimmkran aufgenommen und in seine endgültige Position eingeschwommen.

 

Die Ölhafenbrücke wurde im Mai 2013, nach einer Bauzeit von einem Jahr eröffnet und für den Rad- und Fußgängerverkehr freigegeben.

Fertigstellung
2013
Architekt
schneider+schumacher Planungsgesellschaft mbH, Frankfurt
Ingenieur
Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH
Bauherr
Stadt Raunheim
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