Getwingbrücke Zermatt

Auszeichnung
Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaus 2019
schlaich bergermann partner
Laudatio
Die Getwingbrücke Zermatt ist ein hervorragendes Beispiel, wie sich eine Brücke (Schmalspurbahn) aus Stahl auch über geringe und mittlere Spannweiten im Wettbewerb durchsetzen kann. Mit der geringen Bauhöhe und der schnellen Montage in Verbindung mit dem durch das geringe Eigengewicht möglichen Transport als Fertigteil konnten die Vorteile des Baustoffs gewinnbringend ausgespielt werden. Das Spielen mit dem zu den Seiten gespreizten Zugband sowie die kubischen Seitenbereiche setzen nicht nur architektonisch Akzente, sondern unterstützen auch die visuelle Interaktion mit dem Matterhorn.20.11.2018 | Die Jury
Erläuterungsbericht zur Einreichung beim 'Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaues 2019' von schlaich bergermann partner
Aufgabenstellung
Die frühere, 120 Jahre alte Getwingbrücke war Teil der Schmalspurbahnstrecke der Gornergratbahn, auf dem Streckenabschnitt Zermatt–Gornergrat und befindet sich in der Nähe der Talstation in Zermatt. Sie wurde in den Jahren 1896 bis 1898 als Fachwerkbrücke erstellt. Aufgrund von Dauerhaftigkeitsproblemen (fortgeschrittene Korrosion) und der nach heutigen Anforderungen zu geringen Durchfahrtshöhe, für die unterhalb der Brücke kreuzenden Straßen, sollte der Stahlüberbau ersetzt und die beiden Widerlager sowie Teile der Kabelanlagen saniert werden. Die Linienführung der Bahn bleibt dabei unverändert, jedoch ist langfristig eine Streckenerweiterung auf eine zusätzliche Spur angedacht und bereits vorbereitet. Die Position der Brücke in den engen Straßen von Zermatt und außerdem als Teil, der für den Tourismus wichtigen Bahntrasse zum Gornergrad, erwiesen sich als schwierige Randbedingungen für Planung und Ausführung. Die Situation direkt über einer Straßenbrücke und zudem über dem Fluss 'Vispa' machten die Anlieferung und Aufstellung der Mobilkrane zu einer Herausforderung. Erschwerend kam zudem das sehr enge Baufenster mit einer Sperrpause von ca. 60h (drei Nächte und zwei Tage) hinzu. Außerdem darf in Zermatt auf Grund von touristischen Belangen nur in Baufenstern im Frühling und im Herbst gebaut werden. Daher konnte aufgrund des Fahrplans der MG-Bahn der Termin für den Einhub nur auf den 06. - 08. November 2017 gelegt werden.
Foto: Schlaich Bergermann Partner
Im Rahmen eines Wettbewerbs wurde eine Stahlbrücke von 25 Metern Länge mit untenliegendem Tragwerk und integriertem Schottertrog vorgeschlagen. Als wesentliches Kriterium der Jury stellte sich der freie Blick auf das Matterhorn heraus. Aufgrund des Erfordernisses das neue Straßenlichtraumprofil einzuhalten, wurde von den meisten Mitbewerbern ein obenliegendes Tragwerk gewählt. Durch die Wahl des untenliegenden Tragwerks bleibt der freie Blick auf das Matterhorn erhalten.
Außerdem zeichnet sich die Brücke auf den ersten Blick durch die geometrischen Formen der verwinkelten Bleche bei gleichzeitig sehr geringer Bauhöhe aus. Die Gesamtbreite der Brücke inkl. seitlicher Dienststege beträgt ca. 4,4m. Die Überbauhöhe beträgt an der maximalen Stelle nur ca. 1,8m, an der minimalen am Endquerträger ca. 90cm.
Die ganze Anlage ist so ausgelegt, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Eingleisspur auf eine Doppelspur ergänzt werden kann. Dies würde eine Ergänzung mit zusätzlichen Widerlagern und seitliche Stützmauern über ca. 80 m Länge bedeuten. Die zweite Brücke wird die gleichen Abmessungen wie die erste Brücke aufweisen und kann ebenfalls unter Betrieb direkt neben die erste Brücke montiert werden.
Lösungsweg
Die neue Stahlbrücke wurde zunächst im Werk in Aigle bei der Baufirma Zwahlen und Mayr vorgefertigt und anschließend zur Baustelle transportiert. In einer Sperrpause wurde sowohl die bestehende Brücke mit zwei Autokranen ausgehoben, die neue Brücke eingehoben und auf die vorgängig angepassten Widerlagerbänke abgestellt.
Die Brücke ist im statischen System ein Einfeldträger und liegt auf Kalottenlagern auf. Der Festpunkt wurde auf der WL Seite 'Findelbach' angeordnet. Die zweigeteilten Brückenkörper sind aus geschlossenen in der Ansicht dreieckförmigen und im Querschnitt trapezförmigen Stahlkästen gefertigt, welche im Mittelabschnitt durch ein vorgespanntes Flachblech-Zugband ‚zusammengehalten‘ werden. Das Zugband weist eine Länge von 8,5m bei einem Querschnitt von Breite zu Dicke von 800mm x 60mm auf. Diese Unterspannung teilt sich an den Umlenkpunkten (Tiefpunkten) in zwei Zugbänder a 400mm x 40mm und leitet die Kräfte direkt zu den Lagerpunkten.
An den Umlenkpunkten wird die Kraft aufgrund des Knicks im Zugband durch die im Hohlkasten angeordneten Steifen aufgenommen und so der Fahrbahntrog in den Drittelspunkten gestützt. An diesen Tiefpunkten wurde aufgrund der in spitzem Winkel auf „einen Punkt“ zulaufenden Bleche ein Frästeil eingeplant, um die Zugänglichkeit der Schweißnähte zu gewährleisten. Die Längssteife am Stegblech liegt, am in seiner Höhe variablen Stegblech, immer in der Mitte und teilt das Stegblech so in zwei gleich große Felder.
Um ein Durchhängen des Zugbandes zu vermeiden, wurde dieses konstruktiv vorgespannt. Der Trog besteht aus kleinen seitlichen Hohlkästen und aus einer orthotropen Platte - Stahldeckblech mit Quer- und Längssteifen. Seitlich schließen hier die Dienststege und ebenfalls durchgehenden Kabelanlagen an. Die filigranen Geländer bilden den seitlichen Abschluss. Um in der Untersicht den Blick auf die Kabelanlagen zu vermeiden, wurden an dieser Stelle dünne Stahlbleche als Verkleidung vorgesehen. Die Brücke wurde in EXC 3 geplant. Die Dienststege in EXC 2. Das Frästeil sogar in EXC 4, um die Ermüdungsrelevanten Schweissnahtübergänge, noch kerbfreier und sorgfältiger herzustellen (Auflage des Sachverständigen).
Der Fertigungsprozess der Stahlbrücke kann in zwei Segmenten betrachtet werden: Der obenliegende Trog als „Oberteil“. Das untenliegenden Tragwerk mit Frästeil und Zugbändern als „Unterteil“. Am 180° gedrehten Oberteil mit Endquerträger, seitlichen Hohlkästen und orthotroper Platte mit Quer- und Längssteifen konnten, durch diese Trennung, die meisten Schweißnähte in Wannenlage hergestellt werden. Das Unterteil (ohne Zugband) wurde erst in einem zweiten Schritt umlaufend mit dem Oberteil verschweißt.
Die Vorspannung des Zugbandes wurde so aufgebracht, dass die auf den Kopf gedrehte Brücke in der Mitte über eine Festhaltekonstruktion „unten“ gehalten wurde und gleichzeitig mittels Pressen an den späteren Lagersteifen um 25mm nach oben gedrückt wurde. Durch diese elastische Verformung wurde die Distanz zwischen den Hochpunkten (später Tiefpunkten) um ca. 6mm verringert. Das nach Aufmass gefertigte Zugband wurde unterstützt eingebaut, um einen Durchhang auszuschließen. Für die Länge des verkürzt eingebauten Blechs wurde die geringere Distanz zwischen den Hochpunkten, die Schweißspalte und die Schweißnahtschrumpfung berücksichtigt. Die Schweißnähte wurden nacheinander hergestellt und die Schweißnahtspalte aufgrund der Schweißnahtschrumpfung der ersten Naht entsprechend unterschiedlich gewählt. Nach Einhub der Brücke und aufbringen der Ausbaulasten (Schotter und Gleisbau) stellte sich die berechnete, ‘gerade’ Gradiente und ein entsprechender Zuwachs der Vorspannung (geringerer Durchhang) im Zugband ein. Der geringe, noch bestehende, Restdurchhang des Zugbandes ist so im Endzustand fast nicht mehr zu erkennen.
Im Bereich des Oberbaus und bei den Instandhaltungsmaßnahmen wurde großer Wert daraufgelegt, ein durchgehendes Schotterbett auszubilden. Die Tragwerksfugen wurden daher als geschlossene Fahrbahnübergangskonstruktionen geplant. Um ein seitliches Herausfließen des Wassers an der Fuge zu verhindern, wird die Fahrbahnübergangskonstruktion seitlich hochgezogen. Sowohl die Lager als auch die Fahrbahnübergangskonstruktionen sind so geplant, dass sie bei möglichem Verschleiß ausgetauscht werden können. Die Entwässerung wird über das Quergefälle des Deckblechs und die Längsneigung gewährleistet. Das anfallende Wasser wird, über die wasserdichte Fuge, hinter dem WL Zermatt gesammelt und kontrolliert abgeführt. Die bestehenden Widerlagerbänke wurden ersetzt und auf das bestehende Natursteinmauerwerk aufgelegt und verankert.
Zusammenfassung
Der Ersatzneubau für die fast 120 Jahre alte Getwingbrücke ist Teil der Schmalspurbahnstrecke der Gornergratbahn und befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Talstation in Zermatt. Die alte Brücke musste durch ein neues Bauwerk ersetzt werden, um eine Erweiterung auf zwei Fahrspuren zu ermöglichen. In der gestalterisch anspruchsvollen Bergkulisse entstand aus einer an sich einfachen Bauaufgabe eine architektonisch ausdrucksstarke und wohlproportionierte Brücke in Stahlbauweise.
Das Ergebnis ist eine filigrane und transparente Stahlkonstruktion, die sich sowohl durch Funktionstüchtigkeit, Dauerhaftigkeit als auch Ästhetik auszeichnet. Der Einfeldträger ist statisch gesehen eine Mischung aus Fachwerk und Unterspannung und besteht aus zwei pyramidenartigen Baukörpern, die als Stahlhohlkästen ausgeführt sind. Die Unterspannung erfolgt im Auflagerbereich durch ein zweiteiliges, im Mittelbereich durch ein freies, herausgelöstes Zugband. Der differenziert gestaltete Brückenkörper fügt sich subtil in die Umgebung und gewährt einen freien Blick auf das Matterhorn.
Die enstandene Stahlbrücke ist 25,50 Meter lang, 4,47 Meter breit und rund 55 Tonnen schwer. Durch die schlanke Konstruktion fügt sich die Stahlkonstruktion gut in die Umgebung und das Ortsbild mit dem Matterhorn Panorama ein. Zusätzlich konnte durch das vergrößerte Lichtraumprofil die Durchfahrtshöhe für den Straßenverkehr verbessert sowie eine geringere Lärmemissionen für die Anwohner erreicht werden.