Jinji Lake Mall

Auszeichnung
'Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaues 2019'
schlaich bergermann partner
Laudatio
Die chinesischen Städte sind für ihre großmaßstäbliche Architektur bekannt. Das Freiformdach über der „Jinji Lake Mall“ in Suzhou (Provinz Jiangsu) ist die in architektonischer und statisch-konstruktiver Hinsicht passende Antwort für den Ort mit seiner Hochhaus-Skyline am Ufer des Jinji Lake. Das den Flügeln eines Phönix gleichende 35.000 m² große Dachtragwerk verbindet die vier Gebäudeteile des Shopping- und Freizeitparks fugenfrei. Dies trotz der seismischen Beanspruchung und großen Abmessungen des Gebäudekomplexes. Es beeindruckt durch seine harmonische Netzform und Topologie, die sich schützend über die Gebäudeteile legt. Bei gleichbleibender Profilbreite von 120 mm und einer freien Spannweite von 60 m über dem zentralen Atrium können die Lasten durch eine optimierte Formgebung und geschickt positionierte Baumstützen mit wirtschaftlichem Stahleinsatz abgetragen werden.
19.11.2018 | Die Jury
Erläuterungsbericht zur Einreichung beim 'Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaues 2019' von schlaich bergermann partner
Aufgabenstellung
Die Jinji Lake Mall bildet das Zentrum des neuen Jinji Lake Distrikts in der Provinz Jiangsu in China. schlaich bergermann partner Shanghai hat gemeinsam mit Benoy
Architects an dem skulpturalen Glasdach gearbeitet, das die beiden Hauptbereiche des Einkaufscenters überdacht und in seiner Form an die Schwingen eines Phönix erinnert.
Das 290.000 Quadratmeter große Einkaufs- und Unterhaltungszentrum mit eigener U-Bahn-Station ist das Herzstück der Stadtentwicklung am Ufer des Jinji Lake im chinesischen Suzhou. Aufgrund der umliegenden Wolkenkratzer war das Erscheinungsbild des Daches als „fünfte Fassade“ von großer Bedeutung. Als Ergebnis ist nun ein durchgängiges, 35.000 Quadratmeter großes Glasdach entstanden, das die vier einzelnen Gebäude miteinander verbindet.
Foto: schlaich bergermann partner
schlaich bergermann partner wurde mit der Tragwerksplanung des Daches beauftragt, dessen Form von den aufgespannten Flügeln eines Phönix inspiriert ist. Die Herausforderung bestand darin, dass das Dach fugenlos über den 400 Meter langen Komplex spannt und trotzdem den großen Relativverschiebungen aus Temperatur- und Erdbebeneinwirkungen standhalten muss. Entstanden ist eine 35.000 Quadratmeter große, komplett fugenlose, freigeformte Netzschale.
Lösungsweg
Für die 35.000 Quadratmeter große, komplett fugenlose, freigeformte Netzschale wurde eine aufgrund ihrer Flexibilität vorteilhafte regelmäßige Viereckstruktur mittels eigens entwickelter Modellierungsmethoden gefunden. Der digitale Entwurfsprozess ermöglichte die gekoppelte Optimierung von Netz und Tragwerk zu einer harmonischen und zugleich filigranen Struktur. Der geometrischen Entwicklung der Form, ihrer statischen Analyse und ihrer mathematischen Optimierung lag ein vereinheitlichter digitaler Arbeitsablauf zugrunde. „Subdivision surface modelling“ stand im Mittelpunkt dieses automatisierten Prozesses, auf dessen Basis geometrische wie statische Kriterien in einem Zuge optimiert werden. „Subdivision surfaces“ ermöglichen die Beschreibung von Freiformflächen durch einfache Vorgabe eines grob aufgelösten Steuernetzes.
Die parametrischen Abhängigkeiten zwischen Grobnetz und Zielfläche wurden genutzt, um anhand von Formoptimierung statisch optimale Geometrien direkt am voll detaillierten Finite-Elemente(FE)-Modell zu ermitteln. Dies ermöglichte eine freiere Wahl von Optimierungskriterien. Im Gegensatz zu klassischen Formfindungsmethoden konnte dadurch sichergestellt werden, dass die Knotenpunkte des Netzes auf einer krümmungsstetigen Oberfläche liegen. Aufgrund der Lage in einem stark gefährdeten Erdbebengebiet ergaben sich aus der Lagerung auf vier unabhängig voneinander gegründeten Bauwerken besondere Anforderungen an das fugenlose statische Modell. Gleichzeitig war allen Beteiligten das homogene, ununterbrochene Erscheinungsbild der Glasfläche wichtig, da sonst die Schwingen des Phönix unkenntlich geworden wären. Folglich musste das Tragwerk, über eine Länge von 600 Metern, große Dehnwege sowie die beträchtlichen Relativverschiebungen der seismisch agitierten Gebäude, völlig fugenlos beherrschen. schlaich bergermann partner entwickelte ein statisches System, welches unempfindlicher gegenüber Verformung ist und gleichzeitig die Lasten sicher abträgt. Das gewählte flexible Vierecknetz ist hierfür geeignet, da es die Verformungen durch Veränderungen der Innenwinkel in der Netzfläche aufnehmen kann. Schlanke Stützen im Abstand von 15 bis 25 Metern verzweigen sich baumartig zur Dachebene, um dort die Spannweiten des Netzes auf 9 Meter zu reduzieren. Über dem zentralen Atrium ist das Netz als Hängeform mit ca. 60 Metern Spannweite ausgebildet. Für die Hauptachsen betrugen die Abmessungen der Rechteckprofile 120 Millimeter x 350 Millimeter. In den restlichen Bereichen des Rasters waren mit 120 Millimeter x 250 Millimeter sogar schlankere Querschnitte möglich. Die Windlasten in den vertikalen Dachabschnitten werden über horizontale Pendelstützen in die Decken der Massivbauten eingeleitet, was thermische Dehnungen zwängungsfrei zulässt.
Die gleichzeitige statische und geometrische Optimierung konnte inhouse mithilfe von speziell hierfür entwickelter Software erreicht werden. Sie stellt eine automatisierte Feedbackschleife zwischen den in Grasshopper parametrisierten Modellen und Sofistik (FE-Software) her. Die Steuerung dieser Schleife wurde einem mathematischen Optimierer überlassen. So ließen sich, basierend auf den Ergebnissen der FE-Berechnung, optimale Parameterkonfigurationen finden.
Zusammenfassung
Für die Dimensionierung der Querschnitte dieses Daches stellt Erdbeben den bestimmenden Lastfall dar.
Die vergleichsweise flexiblen Einzelgebäude mussten im statischen Modell detailtreu abgebildet werden, um maßgebende Relativverschiebungen zu ermitteln. Nach chinesischer Norm mussten die verschiedenen Nachweise für „häufige“, „moderate“ und „seltene“ Erdbeben mit jeweils unterschiedlichen Kriterien erbracht werden. Die Resultate des normalen Antwortspektrums mussten anhand mehrerer Time-History-Analysen verifiziert werden. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien wurden die Querschnitte der über 20.000 Stabelemente und 11.000 Knotenpunkte mittels eines eigenen Algorithmus optimiert. Gemeinsam mit der geometrischen Optimierung konnte eine Reduktion der verteilten Stahlmasse auf 60 Kilogramm pro Quadratmeter erreicht werden.
Freiformfassaden weisen oft einen geringen Wiederholungsgrad an baugleichen Elementen auf. Dieser bietet jedoch ökonomische Vorteile, eine rationelle Herstellung und vereinfachte Baustellenabläufe. Geometrisch ähnliche Netzflächen wurden folglich gruppiert und jeder Gruppe ein einzelnes Paneel zugewiesen. Jedes dieser Paneele wurde dann auf alle seiner Gruppe zugehörigen Flächen gelegt, was zu unterschiedlichen Fugenbreiten zwischen benachbarten Paneelen führte. Die minimal und maximal zulässige Breite dieser Fugen war die bestimmende Randbedingung bei der Gruppierung der Flächen. Die Fugenbreiten wurden anhand konstruktiver Anforderungen und statischer Berechnungen ermittelt: Da sich die Innenwinkel der Stahlrahmen unter Last verändern würden, musste die entstehende Verformung bei der Dimensionierung der Fugen zwischen
den Glasflächen berücksichtigt werden. So konnte dem Kontakt zweier Glasflächen vorgebeugt werden. Die benötigten Abstände wurden für alle GZG -Lastkombinationen – auch die seismischen – ermittelt. Nur im seltenen Erdbebenfall mit einer Wiederkehrperiode von 2000 Jahren würde überhaupt eine Beschädigung des Glases zugelassen, bei der die Tragfähigkeit jedoch immer noch gewährleistet bliebe. Mit diesen Fugentoleranzen ließ sich die Anzahl einzigartiger Scheiben signifikant reduzieren. Beispielsweise wurde die Menge der Unikate im zentralen Hängedach auf etwa ein Zehntel der Netzflächen reduziert, mit einer Wiederholungsrate einzelner Paneelen von bis zu 60 Stück.