Kletterhalle im Isartal

Erläuterungsbericht von Stephan Immerz, Maximilian Merk und Merlin Tichy zur Einreichung beim 'Förderpreis des Deutschen Stahlbaues 2018'
Bouldern und Klettern wird nicht erst seit Ausrichtung des diesjährigen Weltcup-Finales in München immer populärer. Bereits seit den 1990ger Jahren erlebt das Sportklettern eine rasante Entwicklung nach oben. Längst gilt München in der Kletterszene als Garant für spektakuläre Boulder-Wettkämpfe. Die Kletterhallen platzen schon aus allen Nähten, in Thalkirchen lockt die größte Kletteranlage der Welt und am Ostbahnhof wurde 2010 die weltweit größte Boulder-Anlage errichtet.
© Stephan Immerz | Merlin Tichy
Selbst für die Kleinen gehören die Griffe in verschiedenen Formen und Farben im Innen- und Außenbereich, auf Spielplätzen und in den Kindergärten zur festen Spiel- und Sporteinrichtung. Welche Bedeutung das Klettern mittlerweile erklommen hat, lässt sich an der Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees im Jahre 2016 ablesen. In Rio de Janeiro stimmte das IOC für die Aufnahme des „Sport Climbing“. Zum ersten Mal werden damit im Jahre 2020 olympische Medaillen im Sportklettern vergeben.
Östlich von Buchenhain in der Gemeinde Baierbrunn gibt es einen Natursteinklettergarten. Drei Eiszeiten und zwei Warmzeiten haben im Klettergarten Ihre Spuren hinterlassen. Das als Münchener Schotter bezeichnete Sturzmaterial, wurde durch Schmelzwässer einer Eiszeit abgelagert. Es entstand eine mehrere hundert Meter lange Natursteinfelswand mit einer Höhe bis zu 26 Meter. Dieser Ansatz ist der Grundstein für den interdisziplinären Entwurf „Die Gletscherspalte“, welche von den beiden Architekturstudenten der Hochschule München im 5.Semester Ihres Bachelorstudium und einem Studenten aus dem Bereich Bauingenieurwesen erarbeitet wurde.
Der Ort
Der Ankommende spaziert auf dem Wanderweg des Naherholungsgebietes durch den Buchenwald und kommt zu einer Lichtung, dort erblickt er eine kleine Brücke die zu einem verspiegelten Glaskubus führt, welcher die Umgebung widerspiegelt und sich der Natur unterordnet. Die Kubatur der Kletterhalle lässt sich somit noch nicht erahnen. Hier befindet sich der erste Haupteingang. Die Besucher und Naturliebhaber können sich im Bistro auf der Dachterrasse über die Entstehung des Natursteinklettergartens ab der Eiszeit durch haptische und visuelle Informations-Säulen oder anhand einer Panoramakarte weiterbilden und den Ausblick genießen. Dieser erstreckt sich über die Baumwipfel hinweg, dem Flussverlauf der Isar entlang in Richtung des bekannten Georgenstein, welcher bis zu fünf Meter aus dem Wasser ragt und zur Zeit der Flößerei auf der Isar ein gefürchtetes Hindernis darstellte. Heute ist der Felsblock im Flussbett ein beliebtes Ziel für Freizeitausflüge von Familien. Der Startpunkt dieser Wanderung beginnt genau an dieser Lichtung, die zum Haupteingang für Besucher führt und kreuzt in seinem späteren Verlauf am Fuße der Natursteinfelswand den Eingang für Kletterer, welcher sich acht Geschosse tiefer gezielt an der Nordwest-Seite angeordnet und als Erdgeschoss bezeichnet ist. Nun wird auch die enorme Kubatur der Kletterhalle sichtbar, die als fast neun Meter breiter, über 60 Meter langer und 26 Meter hoher Riegel der bestehenden Natursteinfelswand in südwestlicher Richtung folgt. Das Bauwerk ist auf Stützen gestellt um jede künstliche Veränderung der Topografie zu vermeiden.
© Stephan Immerz | Merlin Tichy
Nutzung / Gestaltung
Über die vertikale Erschließung erfolgt die Teilung des Gebäudes in zwei Hälften. Es entstehen zwei voneinander unabhängige Fluchtwege. Von den dafür vorgesehenen Balkonen, können bei Veranstaltungen die Kletternden beobachtet werden. So können unterschiedliche Blickbeziehungen zwischen Sportler und Zuschauer entstehen.
Der Kletternde kann sich auch dafür entscheiden, die Fassade des Gebäudes zu erklimmen. Diese wird im Erdgeschoss über die an den einzelnen Stützen angebrachten Leitern erreicht.
Zwischen den beiden Haupteingängen, die als Ankommender unterschiedlich erlebt werden befinden sich acht Geschosse. Diese beinhalten Flächen zum Verkauf und Verleih von Material, Büro und Seminar sowie benötigte Räumlichkeiten wie Sanitärbereiche und Umkleiden für Nutzer des Boulder-Bereiches. Außerdem die zwei Kletterbereiche mit 12 Meter und 18 Meter Höhe. Diese beiden Kletterräume sind mit verschiedenen leichten und schweren Routen interessant gestaltet, um auch optisch und haptisch die Räume jeweils anders erleben zu können. Während des ganzen Jahres kann bei angenehmen Temperaturen geklettert werden.
Um helle Räume realisieren zu können und damit Blickbeziehungen zwischen Innen und Außen entstehen zu lassen, wird gezielt das Gebäude von oben und von den schmalen Seiten belichtet. Die Oberlichter stellen zum einen eine Blickbeziehung zwischen Besucher und Kletterer im Bistro her. Vielleicht kommt der Eine oder Andere in den Genuss, die Wände einmal selbst zu erklimmen. Zum anderen sollen die Kletterer durch den menschlichen Trieb aus etwas heraus, oder an die Oberfläche zu kommen animiert werden, die Wände auch als Anfänger bis ganz oben hochzuklettern. Die Glasfassade mit den daran anschließenden Putzbalkonen und einer Verschattung aus Buchenholz, welches traditionell gerne als Nutzholz für den Bau verwendet wird, da es über einen sehr langen, vollholzigen, astfreien Stamm verfügt, soll zu dem Buchenwald in der Umgebung eine Beziehung aufnehmen und die Südwest-Seite vor Überhitzung schützen. Die Nordwest-Seite wird mit denselben Buchenholzelementen in der gleichen Anordnung belegt und als Fläche für Kunst am Bau zur Verfügung gestellt. Die gezielten Abstände zwischen den Lamellen ergeben ein Bild, welches an die Flussbiegung der Isar mit dem Buchenwald im Bereich Baierbrunn erinnern soll und somit einen regionalen Bezug herstellt.
Tragwerk / Konstruktion
Der geschlossene Gebäudekörper ist aufgrund seiner Höhe und der hohen Belastungen als Verbandsbau geplant. Die Querverbände im Bereich des Treppenhauses werden dabei mit zusätzlichen Stützenpaaren nach innen versetzt. Diese Maßnahme ist erforderlich, um Öffnungen zur Erschließung der Kletterbereiche zu schaffen. Die schwebende Wirkung des Komplexes wird durch Rahmen erzielt, auf denen der Verbandsbau steht. Dadurch kann auf die Auskreuzungen der Verbände verzichtet werden. Um die Profile dennoch möglichst schlank zu halten, entscheid man sich gegen biegesteife Rahmen. Zur Ableitung der Horizontalkräfte dienen die eingesetzten schrägen Rundrohrstützen. Die klare Geometrie und das daraus resultierende Stützenraster ermöglichen ein entsprechend unauffälliges und gut strukturiertes Tragwerk.
Das Gebäude erhält eine vorgehängte Fassade aus beschichteten Sperrholzplatten, die beklettert werden kann. Die schmalen Seiten bestehen aus einem transluzenten Bauteil. Dieses wird als Alu-Pfosten-Riegel Fassade ausgeführt. Der Sonnenschutz sowie die Elemente für Kunst am Bau sind über die vorgehängten Putzbalkone am Rohbau befestigt. Die Hälfte der Dachfläche ist mit einer extensiven Begrünung belegt.
Die Fußbodenkonstruktion in den Kletter-Bereichen und dem Boulder-Bereich ist als Punktelastischer Sportboden geplant. Dieser spricht bereits bei geringer Belastung schnell an. Er zeigt besondere schutzfunktionelle Eigenschaften bei Stürzen. Sanitär- und Umkleiden werden mit Steinzeugfliesen belegt. Material / Verleih, Büro und Seminarraum werden mit Parkett ausgestattet. Alle anderen Bereiche erhalten einen Estrich mit staubbindenden Anstrich.
© Stephan Immerz | Merlin Tichy
Das Bauwerk ist kosteneffizent ausgestattet und die Beheizung soll nach Abstimmung mit HLS und dem Baugrundgutachter an eine geplante Fernwärmeleitung angeschlossen werden, um den Anforderungen des Erneuerbare-Energien-Gesetz zu entsprechen. Beheizt werden lediglich das Büro, der Sanitär- und Umkleidebereich, sowie das Bistro. Aufgrund der großzügig dimensionierten Fassadenkonstruktion und der überwiegenden Nutzung als Kletterhalle, wird auf weitere Beheizung verzichtet.
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