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Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Turmbauwerk - Duisburg

Auszeichnung
Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaues 2015
Kategorie Hochbau

Harald Kloft (osd, Frankfurt)
Landesarchiv NRW, Duisburg

Beim Landesarchiv ist die Stahlkonstruktion weniger sichtbarer Akteur, mehr äußerst effektiver stiller Helfer. Der funktional sinnvolle Einsatz des Baustoffes Stahl ermöglicht die Einhaltung der ungewöhnlich hohen Anforderungen an Konstruktionspräzision und Verformungsbeschränkung für das Archivierungssystem. Selbst nachträgliche Höhenjustierungen, wie auch die Lastweiterleitung aus der neuen Archivkonstruktion an den Bestandsstützen vorbei direkt auf die Bodenplatte sind mit der modernen Stahlkonstruktion möglich. 
Planung und Ausführung eines solch anspruchsvollen räumlichen Stahltragwerkes im Kontext der bestehenden Konstruktion sind eine hervorragende Ingenieurleistung und ein schöner Ausweis für die Möglichkeiten des Stahlbaues beim Weiterbauen im Bestand.

Erläuterungsbericht von Harald Kloft | osd GmbH & Co. KG zur Einreichung beim Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaues:

Aufgabenstellung

Einleitung:
Der Archivneubau des Landesarchivs NRW zeigt weithin sichtbar, dass das Land Nordrhein-Westfalen auf sein kulturelles Gedächtnis setzt. In Duisburg wurde der größte Archiv-Neubau Europas realisiert. Der BLB NRW ist Bauherr des Projektes. Nach den Plänen von Ortner & Ortner Baukunst wurde das vorhandene und unter Denkmalschutz stehende 48m lange Speichergebäude aus den 1930er Jahren um einen 76m hohen Archivturm und einen rund 160m langen sechsgeschossigen Neubau in Wellenform ergänzt. Darin wird langfristig in 148 Regalkilometern das rheinische Archivgut aufgenommen. Außerdem werden in dem Neubau Lesesaal, Ausstellungsraum und Büros entstehen. Das bestimmende Material des neuen Archivs ist Ziegel. Das Turmbauwerk des Landesarchivs ist damit eines der höchsten Gebäude mit Verblendmauerwerk in Europa.

 

Foto: Ortnwer & Ortner Baukunst


Aufgabenstellung Turmbauwerk:
Der am Duisburger Innenhafen gelegene verklinkerte Stahlbeton-Getreidespeicher der Rheinisch-Westfälischen-Speditions-Gesellschaft mbH (RWSG-Speicher) entstand im Jahre 1936. Auf 10 Geschossen wurde Getreide als Schüttgut gelagert. Das präzise ausgeführte Stahlbetonskelett macht den Speicherbau zu einem Beispiel des armierten Betonbaues „par excellence“. Die Verwirklichung des Landesarchivs NRW stellt den abschließenden Baustein der Entwicklung im Innenhafen Duisburg dar. Die neu geschaffene Institution „Landesarchiv NRW“ geht hervor aus dem ehemaligen Hauptstaatsarchiv sowie den Staats- und Personenstandsarchiven des Landes. Diese neue Organisation ist gehalten, archivwürdige Unterlagen des Landes NRW zu übernehmen, zu erschließen, zu erhalten, zu erforschen und veröffentlichen, sowie der Nutzung durch Dritte zugänglich zu machen.

Das Landesarchiv NRW zeigt sich zur Autobahn und zum Innenhafen als markantes ziegelrotes Turmbauwerk. Das vorhandene Speichergebäude aus den 1930er Jahren wird durch einen Archivturm im Zentrum ergänzt. Das Archivgut des Landes NRW kann nun prägnant sichtbar und in Gänze aufgenommen werden. Die Öffnungen und die Dachflächen wurden geschlossen und fein verändert. Das Gebäude nimmt Archivalien in insgesamt 148 Kilometern Regalen auf. Das Foyer liegt im Schnittpunkt des Speichers und der geplanten Erweiterungsflächen. Es entsteht ein angemessener Eingang für das neue Landesarchiv. Das Foyer und die öffentlichen Bereiche öffnen sich zur Uferpromenade. Im Innern des Foyers blickt man über große Öffnungen in das gesammelte Archivmaterial. Von hier aus wächst der Neubau nach Süden in das Baufeld hinein. Die einfache Baustruktur in der Materialität des Speichergebäudes erlaubt einen additiven Ausbau und Umbau. Dieser kann subtil auf den Entwicklungsbedarf des Archivgutes reagieren. Der Platz am Schwanentor wird zum Straßenraum hin mit einer Kante hervorgehoben.

Grundlegendes Gestaltungselement ist eine massive Außenhaut aus Ziegeln, die dem Archivturm eine skulpturale Optik gibt. Die technisch erforderlichen Fassadenelemente wie Entwässerungsrinnen, Fassadensicherungen etc. sind so ausgebildet, dass diese verdeckt angeordnet werden und optisch in den Hintergrund treten. Das Denkmal bleibt in seiner historischen Struktur und Funktion ablesbar. Durch Vor- und Rücksprünge im Mauerwerk entsteht ein fein gegliedertes Ornament. Das Bestandsmauerwerk besteht aus Vollziegeln in einem historischen Ziegelformat mit den Abmessungen 25/12/6,5 cm. Alle neu zu errichtenden Außenmauerwerke werden in diesem Format erstellt. Die vorhandenen Fenster des Speichergebäudes wurden entfernt und durch Ausmauerungen aus Ziegeln ersetzt. Die Farbigkeit und Textur der neuen Ziegel bestimmt sich durch die ursprüngliche Oberfläche der Bestandsziegel, die durch Ihre Patina Zeugnis der Industriegeschichte Duisburgs sind. Subtil differenzieren sich neue und alte Bauteile.

Lösungsweg

Tragwerksentwurf Turmbauwerk:

Schon im Wettbewerbsentwurf entwickelten die Architekten von O&O Baukunst gemeinsam mit den Ingenieuren von osd die zentrale Idee, einen „Speicher im Speicher“ zu bauen und den Neubau als Turmbauwerk in das bestehende Speichergebäude zu integrieren. Ursprünglich sollten hierzu die vorhandenen Stahlbetonstützen durch eine nachträgliche Ummantelung verstärkt werden und die neuen Stützen dem Raster folgend auf diesen aufgesetzt werden. Da das vorhandene Gebäude als Getreidespeicher bis zuletzt genutzt wurde, konnte davon ausgegangen werden, dass die Decken auch für die Archivlasten ausreichend dimensioniert waren. Die neuen Lasten des Archivturms sollten schließlich über eine neue gemeinsame Bodenplatte in den Baugrund übertragen werden. Hierzu war es notwendig, unter der neuen Bodenplatte Mikropfähle bis in die tragfähigen Schichten des Baugrundes einzubringen, um größere und vor allem ungleichmäßige Setzungen zu vermeiden.
Im Zuge der weiteren Planungen wurden durch die Wahl des Archivsystems die üblichen Verformungsbegrenzungen auf l/1000 erhöht, wodurch das Konstruktionssystem geändert werden musste. Diese sehr hohe Begrenzung der Verformungen resultierte aus der Vorgabe zur manuellen Bedienung der Regalanlagen. Statt der ursprünglich vorgesehenen Stahlbetonkonstruktion aus Stahlbetondecken, -innenstützen und -außenwänden wurde die Konstruktion aufgeteilt in einen äußeren Stahlbetonturm, welcher die Horizontallasten abträgt sowie die Funktion der Gebäudehülle übernimmt und eine innere Stahlkonstruktion zur Abtragung der Archivlasten. Im Unterschied zu einer inneren Stahlbetonstruktur, die zeit- und lastabhängigen Formänderungen durch Schwinden und Kriechen ausgesetzt ist, sind bei einer Stahlkonstruktion die Verformungen wesentlich genauer zu prognostizieren und die hohen Anforderungen von l/1000 mit entsprechend größerer Sicherheit bei der manuellen Bedienung einzuhalten. Außerdem wurde in der Planung der Stahlkonstruktion der Einbau hydraulischer Pressen vorgesehen, um eine spätere Nachjustierung zu ermöglichen.

Primärtragwerk:

Das schlussendlich realisierte Primärtragwerk besteht aus dem ertüchtigten vorhandenen Getreidespeicher und dem eingestellten neuen Turmbauwerk. Der Turm besteht aus einer 35 cm dicken Außenschale aus Stahlbeton und wurde ab dem 7. Obergeschoss in Gleitbauweise errichtet. In diese Stahlbetonhülle wurde eine Stahlkonstruktion aus offenen Profilen eingestellt, die später mit einer Brandschutzverkleidung ummantelt wurden. Die Stahlträger und Stahlbetondecken wurden als Verbunddecken ausgebildet, um die mitwirkende Breite der Ortbetonschicht zu aktivieren. Während die ursprüngliche Planung als Stahlbetonkonstruktion die Übergabe der Lasten aus dem neuen Turm an die nachträglich verstärkten Bestandsstützen vorsah, wurde für die Stahlkonstruktion eine vom Bestandsgebäude unabhängige Lastabtragung entwickelt. Im 6. Obergeschoss wurde eine pyramidenförmige Übergangskonstruktion angeordnet, welche die Lasten aus den Stahlstützen des Turmbauwerks auf sogenannte „Vierendeelstützen“ überleitet. Diese Vierendeelstützen umschließen zwar die Bestandsstützen, bringen aber keine neuen Lasten in die vorhandenen Stützen ein, sondern leiten die Lasten des Turmbauwerkes direkt in die Bodenplatte ein. Hierdurch werden ungleichmäßige Setzungen und Schiefstellungen vermieden. Die gemeinsame Gründung von bestehendem Speichergebäude und Turmbauwerk wurde als sogenannte Kombinierte-Pfahl-Plattengründung (KPP) ausgebildet. Zu deren Herstellung wurden zunächst in dem vorhandenen Untergeschoss zirka 500 bis zu 12m lange Mikropfähle gesetzt. Anschließend wurde das UG komplett mit Beton verfüllt und als neue Stahlbetonbodenplatte ausgebildet, welche die alten und die neuen Lasten aufnimmt.
Die sehr hohen Anforderungen an die Begrenzung der Durchbiegungen haben auch im Bestandsgebäude zu einer Konstruktionsänderung gegenüber der ursprünglichen Planung des Wettbewerbsentwurfes geführt. Die vorhandenen Stahlbetondecken waren für einen Getreidespeicher ausgelegt und somit statisch ausreichend für die Aufnahme der Archivlasten. Die hohen Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit konnten jedoch nicht ohne Ertüchtigung der Decken hergestellt werden. Zur Sicherstellung der Gebrauchstauglichkeit wurde ein Stahlträgerrost entwickelt, welcher unterhalb der vorhandenen Stahlbetondecken eingebaut und über Gewindestangen auflagernah an die vorhandenen Stahlbetonunterzüge angehängt wurde. Im Bereich des Silobauwerks konnte aufgrund geringerer Geschosshöhen diese Lösung nicht angewendet werden: Hier wurde eine Totalentkernung notwendig und analog zum Turmbauwerk eine Stahlkonstruktion mit Stahlverbunddecken eingebaut.
Das Projekt hat gezeigt, dass die Unterstützung der Planung durch 3D-Statikmodellen bei derart komplexen Tragstrukturen eine wichtige Voraussetzung für eine wirtschaftliche Umsetzung ist. Insbesondere in der Bauwerk-Baugrund Interaktion ist eine genaue Vorhersage der Setzungen und Abstimmung der Gründung auf die Baugrundverhältnisse ohne dreidimensionale Betrachtung der Lastweiterleitung nicht zutreffend planbar. Es wird aber auch deutlich, dass 3D-Modelle kein Allheilmittel sind. Die Modellierung verschiedener Materialien und Konstruktionsweisen bei einem Bauwerk ebenso wie die Schnittstellen im Bereich von Bestandskonstruktionen und Neubauten erfordern immer wieder lokale Betrachtungen, die ein Verständnis für die Materialeigenschaften und den Kraftfluss erfordern. Für die Tragwerksplanung bedeutet dies, das sinnvolle Einsetzen aller zur Verfügung stehenden Hilfsmittel: 3D-Modelle, 2D-Betrachtungen und auch Handrechnungen zur Plausibilitätskontrolle.

Dachtragwerk und Eindeckung:

Das markante Satteldach mit einer Dachfläche von ca. 800 m² ist in Stahlbauweise konzipiert und liegt vollständig im Außenbereich. Für die Sparren wurden offene Profile, für die Pfetten Rechteckrohre verwendet. Die gegenüberliegenden Hauptsparren sind ungefähr in der Mitte der Dachfläche durch Träger gekoppelt und mit Stielen unterstützt. Das oberste massive Vollgeschoss springt entsprechend zurück, die thermische Hülle wird durch Flachdachkonstruktionen nach oben abgeschlossen. Die Giebelseiten werden durch massive Stahlbetonscheiben gebildet. Der freibewitterte Dachraum ist Aufstellungsort für die Raumlufttechnik. Die Dacheindeckung ist bewusst durchlässig entwickelt, sodass die mit einer Korrosionsbeschichtung versehenen Stahlprofile allseitig belüftet sind und sich kein Niederschlagswasser aufstauen kann. Die Art der Dacheindeckung folgt in konsequenter Weise den großflächigen Ziegelfassaden des Turms.
Zur Gewährleistung einer bautechnisch einwandfreien und dauerhaften Konstruktion sowie den speziellen geometrischen und witterungstechnischen Umständen geschuldet musste für die Umsetzung einer schrägen Ziegelfassade eine Sonderlösung gefunden werden. Der klassische Ansatz mit Mörtelverbund und einer rückseitigen Vernadelung an der Tragschale, wie er für vertikale Ziegelschalen üblich ist, schied verständlicherweise aus. Die schräge Anordnung der Ziegel, erhöhte Windlasten, eine intensive Beanspruchung durch Niederschlagswasser sowie die Befestigung auf einer Stahlskelettkonstruktion mussten in der Konzeption berücksichtigt werden.
Es wurden bereits im Zuge der Entwurfsplanung von osd mehrere Varianten für eine realisierbare Unterkonstruktion untersucht. Die zentrale Idee aller Varianten sah vor, die Steine zu perforieren und lagenweise auf Stahlstäbe zu fertigen Bauelementen „aufzufädeln“. Durch den Formschluss zwischen Stein und Stahlstab ist die Lage des einzelnen Ziegelsteins gesichert, auf einen klassischen Verbund konnte verzichtet werden. Das Prinzip erlaubt die Kombination verschiedener Steinformen. In den Varianten wurden u.a. Anordnung und Orientierung der Elemente sowie die Befestigung und Lagesicherung in der Dachfläche untersucht: ebenso die Form des Einzelsteins, um in wie genannt überhaupt verarbeiten zu können. Man entschied sich für eine Variante, bei der die Ziegelsteine in Form von trapezförmigen Baguettes mit einem in Längsrichtung mittig angeordneten Loch hergestellt wurden. Diese wurden auf Stahlrechteckrohre aufgeschoben und mittels Stahl-Klammern in der offenen Setzfuge in ihrer Lage gesichert. Es wurden Baguettes in verschiedenen Größen hergestellt und in Elementen zu jeweils ca. 1,30 m Länge so kombiniert, dass sich in der Dachfläche ein definiertes Muster einstellt. Die Elemente wurden in horizontaler Orientierung übereinander mit durchgängiger horizontaler Fuge auf ca. 800 Stangenebenen aufgereiht und mit der Stahlunterkonstruktion verschraubt. Die Stahlunterkonstruktion selbst besteht aus offenen Profilen, die auf die Flansche der Sparren aufgeschraubt sind. Die umgesetzte Bauweise erlaubt für Wartungszwecke einen Ausbau eines jeden Elements von der Innenseite her. Durch bewusstes Auslassen von Elementen konnte in der Dachfläche nach diesem Prinzip auch definierte Öffnungen zur lokalen Belüftung des Dachzwischenraumes geschaffen werden.

Aspekte der Nachhaltigkeit:

Das Landesarchiv NRW bewahrt dauerhaft die Dokumente des Landes NRW, dazu ist das Gebäude konsequent auf Stabilität des Klimasystems und Schonung der Ressourcen ausgelegt. Die auf lange Zeiträume ausgerichtete Archivierung setzt sich in einem robusten und auf Beständigkeit ausgerichteten Gebäude fort. Im Landesarchiv wird das Prinzip einer passiven Klimatisierung verfolgt, die durch eine fein justierbare Teilklimaanlage zum Abbau der geringen internen Lasten ergänzt wird.Hierbei ist die Einhaltung einer konstanten relativen Raumfeuchte aufgrund der wasseranziehenden Natur des Archivgutes von besonderer Bedeutung. Zudem sind kurzzeitige Schwankungen der Luftfeuchtigkeit und Temperatur unbedingt zu vermeiden. Optimale Lagerbedingungen sind nur in einem sehr engen Bereich gegeben: bei einer Temperatur von 16° Grad mit einer Schwankung von nur +-2° C und einer Luftfeuchte von 50% mit einer Schwankung von maximal 5%. Die wesentlichen baulichen Maßnahmen sind eine sehr effektive Wärmedämmung zum Schutz gegen Variationen des Außenklimas und eine schwere Konstruktion zur Stabilisierung der Temperatur. Poröse Gebäudematerialien werden zur Stabilisierung der relativen Luftfeuchte eingesetzt.
Eine luftdichte Konstruktion zur Reduktion des Luftaustausches mit dem Außenklima wurde erreicht, indem die Fenster des bestehenden Speichers verschlossen wurden.Schädliche Auswirkungen des Tageslichtes und durchSonneneinstrahlung können somit ausgeschlossen werden. Eine energieeffiziente Beleuchtung reduziert zudem die internen Wärmelasten. Der Zutritt in die Archivsäle wird durch Luftschleusen reguliert, um den Luftaustausch mit den anderen Bereichen des Gebäudes zu reduzieren. Nur fünf hoch gesicherte Türen führen von den Bürobereichen in den 20-stöckigen Archivturm.Schließlich ist die Aufenthaltsdauer in den Magazinen stark reguliert. Maximal 2 Stunden dürfen sich Archivare in den Magazinen aufhalten, es gibt keine permanenten Arbeitsplätze.Simulationen des Archivklimas haben gezeigt, dass die feuchtigkeitsregulierende Wirkung des gelagerten Papiers ebenfalls wichtig ist. Alle Archivräume werden mindestens zur Hälfte mit Archivgut gefüllt, um die bauphysikalischen Zielwerte zu erreichen. Um das äußere Fassadenbild des denkmalgeschützten Speichers intakt zu halten, wird die erforderliche Wärmedämmung auf der Innenseite angebracht. Hierbei musste sorgfältig auf die bauphysikalisch korrekte Ausbildung der Konstruktion geachtet werden.
Die Archivalien sind auch vor Leckagen der Wasserleitungen zu schützen. Prinzipiell dürfen keine wasserführenden Leitungen über oder unter Archivregalen verlaufen. Die Regenwasser- und Warmwasserleitungen befinden sich ausschließlich im Randbereich der Fassade. Die Verrohrung erfolgt mittels eines "Rohr im Rohr"-Systems, das mit einem automatischen Leckwarn-System zur Überwachung der Leitungen ausgestattet ist, so dass eine mögliche Beschädigung des Archivgutes durch einen Havariefall ausgeschlossen werden kann. Um das Klima im Archiv stabil zu halten, ist ein Umluftsystem mit geringen Luftvolumenströmen implementiert worden, welches den internen Lasteintrag durch Beleuchtung und Personenwärme abbaut. Trotz der angestrebten luftdichten Konstruktion wird dennoch ein ausreichender Luftwechsel auftreten, um den geringen Außenluftbedarf des Personals abzudecken.

Zusammenfassung

Im Duisburger Hafen steht Europas größtes Archivgebäude: Ein unter Denkmalschutz stehendes, ehemaliges Silogebäude aus den 1930er Jahren wurde umgebaut und erweitert. Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen soll Unterlagen übernehmen, erschließen, erhalten, erforschen und veröffentlichen sowie der Nutzung durch Dritte zugänglich machen. Dabei gilt es, die Lebenszykluskosten zu minimieren, unter Verwendung nachhaltiger Materialien, und die Energieeffizienz zu optimieren. Gleichzeitig soll das Gebäude nicht nur den Eingang zur Altstadt markieren, sondern eine Landmarke für das ganze Ruhrgebiet darstellen. An dieser exponierten Stelle werden sowohl eine signifikante, zeichensetzende Bebauung wie eine sensible Einbindung des Neubaus in die bestehende bauliche Substanz verlangt: Bei der Revitalisierung des Speichergebäudes zu einem modernen Ansprüchen genügenden Gebäude zur „Speicherung“ des Archivgutes gilt es, das Potenzial und den Charme der Substanz zu wecken und behutsam um einen Neubautrakt zu einem harmonischen Ensemble zu ergänzen.

Schon im Wettbewerbsentwurf entwickelten die Architekten von O&O Baukunst gemeinsam mit den Ingenieuren von osd die zentrale Idee, einen „Speicher im Speicher“ zu bauen und den Neubau als Turmbauwerk in das bestehende Speichergebäude zu integrieren. Im Zuge der Planung wurden mit der Wahl des Archivsystems die Verformungsbegrenzungen auf l/1000 erhöht: Statt der ursprünglich vorgesehenen reinen Stahlbetonkonstruktion wurde das Tragwerk aufgeteilt in einen äußeren Stahlbetonturm, welcher die Horizontallasten abträgt und die Funktion der Gebäudehülle übernimmt, sowie eine innere Stahlkonstruktion zur Abtragung der Archivlasten und Einhaltung der hohen Verformungsbegrenzungen.

Im Unterschied zu einer inneren Stahlbetonstruktur, die zeit- und lastabhängigen Formänderungen durch Schwinden und Kriechen ausgesetzt ist, sind bei einer Stahlkonstruktion die Verformungen wesentlich genauer zu prognostizieren und die hohen Anforderungen mit entsprechend größerer Sicherheit zu gewährleisten. Außerdem wurde bei der Planung der Stahlkonstruktion der Einbau hydraulischer Pressen vorgesehen, um eine spätere Nachjustierung zu ermöglichen.

Das Gebäude nimmt Archivalien in Regalen mit einer Länge von insgesamt 148 Kilometern auf, es bewahrt dauerhaft die Dokumente des Landes NRW und ist konsequent auf Stabilität des Klimasystems und Schonung der Ressourcen ausgelegt. Der langfristig vorgesehenen Archivierung wird mit einem robusten und auf Beständigkeit ausgerichteten Gebäude Rechnung getragen.

Das vorhandene Speichergebäude wurde durch einen Archivturm im Zentrum ergänzt. Das Archivgut des Landes kann nun prägnant sichtbar aufgenommen werden. Die Öffnungen und die Dachflächen des bestehenden Speichers wurden geschlossen. Grundlegendes Gestaltungselement ist eine massive Außenhaut aus Ziegeln, die dem Archivturm eine skulpturale Optik gibt. Die technisch erforderlichen Fassadenelemente, wie Entwässerungsrinnen, Fassadensicherungen, sind so ausgebildet, dass sie optisch in den Hintergrund treten. Das Denkmal bleibt in seiner historischen Struktur und Funktion ablesbar. Die Farbigkeit und Textur der neuen Ziegel greift die ursprüngliche Oberfläche der Bestandsziegel auf, die durch ihre Patina Zeugnis der Industriegeschichte Duisburgs sind. Durch Vor- und Rücksprünge im Mauerwerk entsteht ein fein gegliedertes Ornament.

Um die Lasten aus dem neuen Turmbauwerk in den Baugrund abzuführen wurde von den Architekten und Ingenieuren in enger Zusammenarbeit eine vom Bestandsgebäude unabhängige Lastabtragung entwickelt. Im 6. OG wurde hierzu eine pyramidenförmige Übergangskonstruktion konzipiert, welche die Lasten aus den Stahlstützen des Turmbauwerks auf sogenannte „Vierendeelstützen“ überleitet. Diese Vierendeelstützen umschließen zwar formal die Bestandsstützen aus Stahlbeton, sind aber statisch nicht mit diesen verbunden, sondern leiten die Lasten des Archivturms direkt - an den Bestandsstützen vorbei - in die Bodenplatte ein. Hierdurch werden ungleichmäßige Setzungen und Schiefstellungen vermieden. Die gemeinsame Gründung von bestehendem Speichergebäude und Turmbauwerk wurde als sogenannte Kombinierte-Pfahl-Plattengründung (KPP) ausgebildet. Zu deren Herstellung wurden zunächst in dem vorhandenen Untergeschoss zirka 500 bis zu 12m lange Mikropfähle gesetzt. Anschließend wurde das UG komplett mit Beton verfüllt und als neue Stahlbetonbodenplatte ausgebildet, welche die alten und die neuen Lasten aufnimmt.

Beim Neubau des Archivturms des Landesarchivs NRW zeigt sich eindrucksvoll, dass hohe gestalterische Qualität das Ergebnis einer gemeinsamen Motivation und konsequenten Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren ist. Das Projekt hat gezeigt, dass nur im Teamwork von Architekten und Ingenieuren aus der bloßen Umsetzung von Bautechniken ein ästhetischer Mehrwert erwachsen und ein Bauwerk zu Baukunst werden kann.

 

Fertigstellung
2014
Architekt
Ortner & Ortner Baukunst Köln
Ingenieur
osd GmbH & Co. KG Frankfurt am Main
Bauherr
Bau- und Liegenschaftsbetriebe des Landes Nordrhein-Westfalen Düsseldorf
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