Trumpf Smart Factory - Chicago

Preis des Deutschen Stahlbaues 2018
Text von Barkow Leibinger / Knippers Helbig zur Einreichung beim 'Preis des
Deutschen Stahlbaues 2018'
Architektonisches und städtebauliches Konzept
Fabriken und Ausstellungsgebäude – zwischen diesen beiden Bauaufgaben liegen normalerweise Welten. Auf der einen Seite regieren Funktionalität und Kosteneffizienz, auf der anderen höchste Ansprüche an Gestaltung und Ausführungsqualität. Ein neues Vorführ- und Vertriebszentrum für den deutschen Werkzeugmaschinen- und Laserhersteller TRUMPF in der Nähe von Chicago vereint beide Welten und macht High-Tech-Maschinen und zukunftsweisende Produktionsprozesse zum Betrachtungsgegenstand. So entstand eine Industrie-4.0-Demonstrationsfabrik mit digital vernetzten Maschinen, in der die gesamte Produktionskette von Blechbauteilen von der Beauftragung über die Konstruktion und Herstellung bis zur Auslieferung als intelligent verketteter, ganzheitlicher Prozess erlebbar wird.
Foto: Simon Menges
Die Wahl des Standorts der neuen „Smart Factory“ orientierte sich an den Bedingungen der Infrastruktur: Das Grundstück liegt prominent an der Interstate 90 in kurzer Entfernung zum internationalen Flughafen Chicago O’Hare. So lässt es sich sowohl international als auch innerhalb der Region, die das Zentrum der blechverarbeitenden Industrie Nordamerikas bildet, ideal erreichen. Seine unmittelbare Umgebung wirkt im Kontext des angrenzenden Industriegebiets beinahe idyllisch: Das in zwei große Volumen gegliederte Gebäude legt sich nach hinten sanft abfallend um einen großen Teich, der in der Aue als Rückhaltebecken dient und von Wiesen mit Rad- und Fußwegen umgeben ist.
Auch die Architektur überrascht: Als robuste und zugleich elegante Stahl-Glas-Konstruktion mit Cortenstahl-Verkleidung verbindet sie den suburbanen „Strip“ – geprägt durch Fast-Food-Kultur, Einkaufsmärkte und Tankstellen – mit der Gestaltungssprache örtlicher Industrie- und Campusbauten von Albert Kahn oder Ludwig Mies van der Rohe. So treffen die Geschichte des „Rust Belt“ als ältester und größter Industrieregion der USA und computergesteuerte High-Tech-Produktion aufeinander, Funktionalität und Repräsentation, Pragmatismus und Raffinesse. Dabei zielt das Gebäude weniger auf aufmerksamkeitsstarke Effekte als auf eine hohe Qualität der Konstruktion bis ins Detail ab.
Foto: Simon Menges
Die beiden Volumen des Baukörpers - ein südliches für den Vorführbereich, ein nördliches für die Büroflächen und das Auditorium der Smart Factory - sind über Eck verbunden und schaffen zwei rechtwinklig gefasste Außenbereiche: Im Südosten entsteht eine großzügige Vorfahrt mit Parkflächen zum Haupteingang, im Nordwesten eine große, sich kreisförmig zum angrenzenden Teich aufspannende Terrasse für das hauseigene Café. Mit 4,50 bis ca. 13 m Höhe integriert sich das Gebäude in die Umgebung, die als natürliche Graslandschaft mit locker gruppierten Bäumen gestaltet ist. Über ein durchgehendes Schrägdach steigt es keilförmig zum Highway an, wo sich der Vorführbereich mit einer 12m hohen Glasfront dem vorbeifließenden Verkehr wie ein riesiges Billboard präsentiert.
Der großzügige Vorführbereich wird stützenfrei über 45 m von 11 Vierendeel-Stahlträgern überspannt. Am Knickpunkt haben diese eine wirksame Höhe von 3,6 m. Als Maßanfertigungen aus variablen, auf TRUMPF Maschinen lasergeschnittenen Teilen zusammengeschweißt, zeigen die je mehr als 17 Tonnen schweren Träger als zusätzliche „Exponate“ das Know-How des Unternehmens und seiner Fertigungsmaschinen.
Diese werden mit ihren unterschiedlichen Funktionen auf der Vorführebene als physisch und digital vernetzte Produktionslinie präsentiert. Anhand realer Aufträge lässt sich hier die gesamte Prozesskette komplexer Werkstücke ganzheitlich mit Material- und Informationsfluss demonstrieren. Einen besonderen Überblick über die Anlage erhalten die Besucher durch einen offenen „Skywalk“, eine Brücke, die in 6,50 m Höhe als Teil der frei tragenden Deckenstruktur über 55 m quer durch die Hauptträger hindurchläuft und so auch das lasergeschnittene filigrane Tragwerk räumlich erlebbar macht („Structure as Space“). Der Skywalk ist mit Gitterrost belegt, durch Glasbrüstungen gesichert und bildet seitlich taschenartige Plattformen für besondere Exponate. Er ist mit dem „Control Center” im 1. OG einer dreigeschossigen Raumspange verbunden, die den offenen Vorführbereich auf der östlichen Seite flankiert. In dieser galerieartig gelegenen „Schaltzentrale“ werden den Besuchern über große Displayflächen in Echtzeit verschiedene Prozesskennzahlen zur Fertigungslinie angezeigt. Angrenzende Konferenzräume bieten weitere Möglichkeiten zur Vorstellung der eingesetzten Technologien.
Der zur ruhigeren Nordseite zurückgesetzte, niedrigere Baukörper verschränkt sich über öffentliche Nutzungen wie die Lobby, das zum Wasser orientierte Café und ein großes Auditorium auf der Ostseite funktional mit dem Vorführbereich. Daneben enthält er ein Großraum-Büro und verschiedene Besprechungsräume für die Mitarbeiter. Alle Räume sind um einen zentralen, mit Ahorn- und Ginkobäumen bepflanzten Innenhof angeordnet und flexibel für wechselnde Anforderungen gestaltet. Die Gebäudefigur erlaubt bei Bedarf eine Erweiterung in nördlicher und westlicher Richtung.
Das Äußere des Gebäudes mit seiner roh wirkenden Verkleidung aus tief rostrotem Cortenstahl-Trapezblech und seinen eleganten, gebäudehohen Verglasungen macht sowohl den industriellen Kontext als auch die repräsentative Funktion deutlich. Als individuelle Pfosten-Riegel-Systeme aus schwarz eloxiertem Aluminium konzipiert, rücken die Glasfassaden bis zu 1,50 m in die Gebäudevolumen hinein. Sie werden von schmalen, tiefen Cortenstahl-Stützen in Form von Doppel-T-Profilen vertikal gegliedert und gegen horizontale Windlasten unterstützt. Zum Schutz vor zu hoher Sonneneinstrahlung besitzt das eingesetzte 2-fach-Isolierglas eine entsprechende Low-E-Beschichtung. Neben Cortenstahl und Glas fand beim Büro-Baukörper zum Innenhof und zum Teich auch ein drittes Material Verwendung: Vertikale Paneele aus geflammtem Douglasienholz integrieren sich farblich homogen und geben den Fassaden hier eine etwas weichere Erscheinung.
Auch im Innern des Gebäudes kommt das geflammte Holz punktuell als raumhohe Verkleidung zum Einsatz. Hier schaffen industrielle, rohe Materialien mit veredelten Oberflächen eine warme, beinahe wohnliche Atmosphäre. Die Konstruktion aus schwarzem Stahl, polierte Betonböden, Deckenverkleidungen aus Streckmetall und das geflammte Holz an den Wänden prägen Räume, in denen geführte Rundgänge und Präsentationen ganz selbstverständlich neben industrieller Arbeit stattfinden können.
Stahlbau - Konstruktion
Das geschosshohe begehbare Dachtragwerk über dem Showroom überspannt mit seinen 11 parallelen Trägern im Abstand von knapp 5 Metern eine Fläche von ca. 2.400 m2 und erlaubt so eine freie Gestaltung der Erdgeschossebene. Es ist dem Brückenbau entlehnt und geht auf ein Konzept zurück, das der belgische Ingenieur Arthur Vierendeel (1852 –1940) erstmals im Jahr 1897 auf dem Congrès International des Architectes in Brüssel vorstellte. Vierendeel entwickelte den „Brückenträger ohne Diagonalen“ als eine wirtschaftliche Alternative zu dem zur damaligen Zeit statisch nur ungenau erfassbaren und daher sehr aufwendigen genieteten Stahlfachwerkträger.
Seine 120 Jahre alte Idee wurde beim Dachtragwerk der Smart Factory durch die expressive Konstruktion aus lasergeschnittenen Stahlblechen neu interpretiert. Für die Träger kam Stahl ASTM A50 zum Einsatz, das etwa der Norm S355 entspricht. Die Trägerform ist aus einer Beanspruchung unter gleichförmiger Vertikallast hergeleitet. Entsprechend der Zunahme der Querkraft und der resultierenden höheren Rahmenmomente zu den Trägerenden hin verdichten sich die Abstände der Vertikalstreben, und die Strebenbreiten nehmen kontinuierlich zu. In der Trägermitte sind die Gurtquerschnitte entsprechend dem Normalkraftverlauf maximal hoch. Der in der Feldmitte entsprechend dem Hauptbiegemomentenverlauf aufgeweitete Gurtabstand verringert sich zu den Auflagern hin. Diese affin zur Biegelinie ausgeführte Trägergeometrie führt zur weiteren Homogenisierung der resultierenden Gurtkräfte. So wird eine über den Trägerverlauf homogene Spannungsauslastung bei gleichbleibenden Blechstärken von nur 10 bis 20 mm erreicht. Diese vergleichsweise geringen Blechstärken ermöglichten ein minimiertes Schweißnahtvolumen der aus Segmenten gefügten Stahlhohlkastenkonstruktion. Durch den Überstand der vertikalen Bleche konnten alle Schweißverbindungen als Kehlnähte ausgeführt werden, was aufwändige Nachbearbeitungen überflüssig machte.
Die Träger weisen ein Konstruktionseigengewicht von circa 75 Kilogramm je Quadratmeter überspannter Fläche auf - ein günstiger Wert für eine begehbare Dachkonstruktion dieser Spannweite. Sie wurden in drei Schüssen zu je circa 15 m Länge vorgefertigt und vor Ort in die Einbaulage auf die vorab montierten Pfosten aufgelegt. Die Schüsse wurden über in den Gurten integrierte, verschraubte Kopfplattenstöße verbunden. Die aufgelegten Dachträger koppeln die Obergurte mit der aussteifenden Dachscheibe.
Laudatio
Die Anmutung ist ohne Frage archaisch. Die Stahlträger in der Vierendeel-Konstruktion, aus geschweißten Blechen in drei Stücken zusammengefügt, sind in ihrer unbehandelten Oberfläche ein imposanter räumlicher Abschluss, der zudem in dem dunklen metallischen Glanz der Halle eine architektonische Präsenz verleiht, die so ganz anders ist, als ein Hightech-Showroom auf den ersten Blick vermuten lässt.
Dennoch steht eine Produktionstechnik dahinter, die mit lasergeschnittenen Blechen aus dem Hause Trumpf eine sublime technische Raffinesse offenbart, die kombiniert mit einem statischen Gefühl für die lesbaren Kraftflüsse den Industriebau an die tektonisch besten Beispiele der Typologie heranführt. Mit Sicherheit ist die Wirkung, die ein Durchwandern auf dem Skywalk, der durch die Träger führt, noch stärker, als es die Bilder vermitteln. Den Architekten ist es auch gelungen, das Gesamtensemble in allen Aspekten auf einem gleichbleibend hohen Niveau bis in die Details zu entwickeln. Einfachheit ist hier nicht als Minimalismus verstanden, sondern in dem Sinne einer technischen Bildhaftigkeit,die Form entstehen lässt.
Johannes Kister