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Zeche Nordstern - Aufstockung Schacht 2

 

Laudatio der Jury
Auszeichnung: Andreas Herrmann, Dr. Markus Dietz, Markus Bott, Jürgen Krümpelbeck, Weischede, Herrmann und Partner, whp GmbH, Beratende Ingenieure, Stuttgart für Zeche Nordstern - Aufstockung Schacht 2, Gelsenkirchen

Die spannungsvolle Kombination von alt und neu wurde mit technischem Geschick geplant und umgesetzt. Die besondere Ingenieurleistung ist die Steuerung des Kraftflusses über Anschlüsse und Trägersteifigkeit, so dass die Bestandsstruktur genau die ertragbare Last bekommt. Es ist eine überzeugende und wirtschaftliche Lösung für die konstruktiven und architektonischen Herausforderungen des Bauens im Bestand gefunden. Die Revitalisierung und Ergänzung der alten Stahlstruktur ist ein gutes Beispiel für nachhaltige Langlebigkeit.

Erläuterungsbericht von Andreas Herrmann, Weischede, Herrmann und Partner, whp GmbH, zur Einreichung beim Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaues 2013:

Aufgabenstellung
Die Zeche Nordstern in Gelsenkirchen Heßler wurde 1868 als erste Zeche nördlich der Emscher errichtet. In den Jahren 1926/27 und 1930 erweiterten die Architekten Kremmer und Schupp die Zeche in der ihnen eigenen funktionalen Architektur, welche schon das Bild der benachbarten Zeche Zollverein prägt.

Der Förderturm Schacht II wurde 1951 nach der Planung von Fritz Schupp als Stahlfachwerkkonstruktion mit einer vorgeblendeten Mauerwerksfassade gebaut. Auf Bild 1 ist die Ebene 8 des Turmes vor Beginn der Umbaumaßnahme zu sehen. Der gesamte Stahlbau wurde nicht rostgeschützt. Man ging davon aus, dass nach Ende der Kohleförderung der Turm abgebaut wird. Aus dem Schacht II wurde bis zum Jahre 1993 Steinkohle aus bis zu 1000m Tiefe gefördert. 

Dieser oberhalb des Schachtes II stehende ehemalige Förderturm sollte nun einer neuen Nutzung zugeführt werden. Geplant war, den Turm aufzustocken, im Inneren umzubauen und gegebenenfalls zu ertüchtigen. Das architektonische Konzept für diese Baumaßnahme sah vor, den Strukturwandel, der sich in der Ruhr-Region vollzieht, an der Transformation des Gebäudes weithin sichtbar zu zeigen.

Die ehemaligen Ebenen 6 bis 9 im Innern des Bestandsturmes waren für eine ständige Kunstausstellung der Sammlung Goetz und des Neuen Berliner Kunstvereins vorgesehen. Im Bereich der ehemaligen Turmförderanlage im obersten Bestandsgeschoss sollte ein Museum eingerichtet werden, um die Besonderheit des Förderschachtes in dieser Region, nämlich die Anordnung der Turmförderanlage im Turmkopf, einem breiten Publikum zugänglich zu machen. 

Die Aufstockung des Förderturms, die nach Fertigstellung von dem Dienstleister und Bauherrn THS genutzt wird, war mit drei Büroetagen, einer Konferenzebene sowie einer zugehörigen Technikebene geplant. 

Die Dachterrasse auf der obersten Büroetage sollte als attraktiver Aussichtspunkt für die Öffentlichkeit zugänglich sein und dem Besucher einen weiten Blick über das Ruhrgebiet ermöglichen. 

Die Aufstockung war im Entwurf mit hoher Transparenz geplant, wobei die Westseite ohne vertikale Tragglieder ausgeführt werden sollte. Mit den neuen Etagen erreicht der Turm eine Höhe von 84m. Ein für dieses Hochhaus notwendiges Erschließungsbauwerk war als schlanke Stahlbetonkonstruktion auf der östlichen Seite des Turmes vorgesehen. 

Die Aufstockung des Förderturmes Schacht II der Zeche Nordstern, mit deren Bau im Januar 2010 begonnen wurde, war eines von sieben Leuchtturm Projekten, welche im Rahmen der Kulturhauptstadt Essen Ruhr 2010 realisiert wurden.

Lösungsweg

Dieser Abschnitt beschreibt die tragwerksplanerische Umsetzung der fünfgeschossigen Aufstockung auf den bestehenden, 62m hohen Förderturm Schacht II und die Errichtung des zugehörigen Erschließungsbauwerkes.

Die Aufstockung gliedert sich wie folgt: 

In der bisherigen Dachebene des Förderturmes, am Übergang von Bestand zur Aufstockung, wurde ein Splitlevel als Verteiler- und Technikebene angeordnet. Die Ebene auf +61,61m für die Technik ist mit einer Lamellenfassade versehen; der tiefer liegende Bereich auf +57,94m ist ein Auditorium, welches als Kubus in den ehemalig 10m hohen Maschinenraum eingehängt ist. 

Die Ebene auf +64,78m ist als Konferenzbereich geplant, die oberen drei Ebenen wurden zu Büroetagen ausgebaut. 

Nach der Aufstockung hat das Bauwerk eine Höhe von 84m. Auf dem Dach, in einer Höhe von +80,38m, befindet sich eine öffentlich zugängliche Terrasse. 

Das für dieses Hochhaus notwendige Erschließungsbauwerk wurde vor der Ostwand des Bestandsturmes in Stahlbetonbauweise errichtet.

1. Bestandsanalyse und Ertüchtigung Bestandsdecken
Vor Beginn der Tragwerksentwicklung stand die Sichtung der Bestandsstatik im Hinblick auf Lastreserven innerhalb der Tragstruktur des Turmes sowie die Materialanalyse der bestehenden Stahlstruktur und der vorhandenen Betondecken der Bestandsebenen. 

Die 1951 errichtete Fachwerkstruktur aus genieteten Stahlträgern besteht aus vier Stützen, die mit geschosshohen Wandverbänden zu einem 61 m hohen Fachwerkturm mit Außenabmessungen von 17,95m im Norden und Süden und 12,85m im Westen und Osten verbunden sind. Die vorhandenen vier Hauptstützen sind mit Blockfundamenten (4,12m x 4,76m x 7,00m) einzeln gegründet und über Balken miteinander verbunden. 

Die Besonderheiten dieses Förderschachtes im Zusammenhang mit der Tragwerksentwicklung für die neue Nutzung sind die zehn bestehenden Bühnen. Auf den oberen beiden Bühnen ist die Maschinentechnik für die Seilförderung untergebracht, die darunterliegenden acht Bühnen wurden als Lastbühnen geplant. Die zur Bemessung angesetzten hohen Bühnenlasten bieten Lastreserven in den Bestandsstützen, die ausgenutzt werden konnten. 

Das Deckentragsystem dieser Bühnen besteht aus den beiden Hauptträgern, welche in Nordsüdrichtung seitlich des Förderschachtes spannen, und den vier Randträgern, die Teil der Fachwerkverbände sind. Zwischen dem östlichen und westlichen Randträger und den beiden Hauptträgern spannen Deckenträger, auf welchen die Stahlbetondecken aufliegen. 

Die Begutachtung der Stahlkonstruktion ergab im Wesentlichen, dass die Haupttragelemente des Stahlbaus zu 90 bis 100% ausgenutzt werden können, alle Stahlbauteile eine Festigkeit eines S235 aufweisen und nicht schweißbar sind. Größere Korrosionsschäden gab es lediglich an Bauteilen, welche einer periodischen Beaufschlagung mit Wasser ausgesetzt waren. 

Die Betondecken spannen als Durchlaufträger mit einer Deckenstärke von 10cm bis 13cm. Auflager bilden Stahlunterzüge mit einem Profil I 340. Im Bereich der Auflager waren die Stahlbetondecken an der Oberseite fast ausnahmslos gerissen. 

Die Begutachtung des Stahlbetons ergab, dass die Betondecken in den Ebenen +28,60m bis +41,20m ansteigende und bis +51,34m wieder abfallende, zum Teil sehr hohe Chloridwerte aufweisen. Vermutlich wurde bei der Erstellung des Schachtes II bei starker Kälte Salz in das Anmachwasser des Betons gegeben. Infolgedessen wiesen die Bewehrungsstähle in den Decken hohe Abrostungsgrade von bis zu 3mm auf. Mit diesen Randbedingungen waren die Bestandsdecken für die geplante neue Nutzung statisch nicht nachzuweisen. Ein weiterer Feuchtigkeitseintritt war in jedem Fall zu vermeiden.

Aus diesem Grund wurden alle Betondecken mit einer Folie oberseitig vor Feuchtigkeitseintritt geschützt und alle Deckenfelder der betroffenen Ebenen mittels neuer unterspannter Träger in Feldmitte unterstützt. 
Die unterspannten Träger bestehen aus zwei U 180 Profilen mit einem mittig angebrachten, über ein Gewinde in der Länge verstellbaren Pendelstab. Dadurch wurde eine einfache Vorspannmöglichkeit vorgesehen, welche einen Kontakt zur Decke herstellt. Das Unterspannseil, ein offenes Spiralseil ø 8mm, greift exzentrisch an, wodurch auch die Ränder des Trägers an die Decke gedrückt werden und sich das Seil gegen Ausweichen aus der Tragachse selbst stabilisiert. 

2. Tragwerkskonzept Neubau zur Transformation des Gebäudes
Der Kernpunkt des Tragwerkskonzeptes für das neue Gebäude war die Einhaltung der Belastungsgrenze der Eckstützen des Bestandsturmes. Die Belastung dieser vier Stahlstützen infolge vertikaler und horizontaler Beanspruchung aus der Gebäudeaufstockung durfte nicht größer sein als die ursprünglich angesetzten Bemessungslasten aus der Nutzung als Förderturm. Die ursprüngliche Bemessungslast der Stütze bzw. des Fundamentes gab die maximale Belastung der Bestandseckstützen für das neue Hochhaus vor.

Im Wesentlichen waren bei der Tragwerksentwicklung für dieses Projekt zwei Aufgaben zu lösen: 

a. die lokalen Lasteinleitung der Aufstockungslasten in die Bestandsstruktur
b. die Steuerung des Kraftflusses innerhalb des neuen Gebäudes (bestehend aus Stahlbauaufstockung, Stahlfachwerk des Bestandsturms und Stahlbetonerschließungsbauwerk), so dass die zusätzlichen Vertikallasten aus der Aufstockung und die größeren Horizontalbeanspruchungen nicht zu einer Mehrbelastung der Bestandseckstützen führen

In einem ersten Schritt der Tragwerksanalyse wurden die vorhandenen Lastreserven in den Tragelementen der Bestandsstruktur bestimmt. Bei den vier Eckstützen ergaben sich Lastreserven aus den zu hoch angesetzten Windlasten in der Bestandsstatik, aus der Betriebslast des Seiles sowie aus den ehemals hohen Nutzlasten der Bühnen. 

Für die Lasteinleitung der neuen Vertikallasten aus der Aufstockung des Bestandsturmes wurde die Maschinenebene des Förderschachtes auf +46,25m gewählt. In dieser Ebene war die hauptsächliche Tragreserve die Seilbruchlast, welche an allen Vertikalen des Fachwerkes auf der Süd- und Nordseite für die Bemessung angesetzt wurde. Generell bestand eine Systemreserve in der Symmetrie des bestehenden Tragwerks, da die Profile an allen vier Seiten für die ungünstigere Last gleich ausgeführt wurden. 

Die Kopplung der Aufstockung an den Bestand erfolgte an zwölf Anbindungspunkten, wodurch die Kräfte gezielt entsprechend der Lastreserven der Bestandsstruktur eingeleitet werden konnten.

Zwei geschosshohe Fachwerkträger im Norden und Süden in der Ebene 13 der Aufstockung vermitteln zwischen der Stützenstellung der neuen Gebäudeaufstockung und dem bestehenden Fachwerkturm. Die unteren Knoten der Fachwerkträger auf +61,61m liegen genau in den Tragachsen des Bestandsturmes, in welchen sich die beiden Eckstützen und die dazwischen liegenden drei vertikalen Fachwerkstäben der Maschinenebene befinden. 

Die Ermittlung der Kräfte in den Tragwerkselementen der Aufstockung, des Bestandsturmes und des Erschließungsturmes infolge der horizontalen Beanspruchungen erfolgte anhand eines FE – Modells, das die Gebäudestruktur räumlich abbildet. Die Fachwerkstruktur des Bestandsturmes und der Aufstockung wurde als räumliches Stabwerk, die Betonröhre des Erschließungsturms als Schale abgebildet. Die Knoten der Fachwerkstruktur wurde als gelenkige Anschlüsse eingegeben. Die Verbindung der Stahlbetonriegel und Stahlbetonstützen wurde monolithisch modelliert und in der Ausführung entsprechend geplant. Die Kopplung der Stahlfachwerkkonstruktion und der Betonröhre erfolgte im Bereich der Aufstockung über drei horizontale Pendelstäbe. Die anzusetzenden Windlasten wurden im Vorfeld im Institut für Industrieaerodynamik der FH Aachen anhand eines Gebäude- und Umgebungsmodelles ermittelt. 

Auf diese Struktur wurden die Windlasten als Knotenlasten aufgebracht. Der Kraftfluss innerhalb des hybriden Gesamtsystems konnte über die Steifigkeit der Verbände in der Aufstockung und der Steifigkeit der Anbindung von Aufstockung zu Erschließungsturm so gesteuert werden, dass die Gesamtlast der Eckstützen des Förderschachtes in den vorgegebenen Belastungsgrenzen blieb. 

3. Stahltragwerk Bestand / Steuerung Kraftfluss der vertikalen Aufstockungslasten
Das Bestandstragwerk aus genieteten Stahlträgern mit der Stahlgüte eines St 37 wurde weitestgehend erhalten. Die Fachwerkstäbe, welche rechnerisch eine größere Belastung erfahren als die ursprüngliche Bemessung der Bestandsstatik ergab, wurden durch neue Stahlprofile ersetzt. Dies wurde im Lasteinleitungsbereich der oberen Geschosse und im unteren Teil des Turmes notwendig, an welchem die Beanspruchung durch die höheren Horizontallasten durchschlug. 

In der Regel konnten die Bestandsprofile durch flächengleiche Profile der Stahlgüte S355 ersetzt werden, wodurch die Tragfähigkeit unter Beibehaltung der Steifigkeit um bis zu 50% gesteigert wurde. Beim Austausch eines Profils wurden die Niete durch Passschrauben der Schraubengüte 10.9 ersetzt. 

In der Ebene +46,25m, in welcher die Lasten aus den neuen Stahlbaustützen der Aufstockung an die bestehende Stahlstruktur eingeleitet werden, wurden an der Nord- und Südseite jeweils drei und im Osten zwei vertikale Fachwerkstäbe zusätzlich zu den vier Eckstützen für die Lasteinleitung der Vertikallasten herangezogen. Diese vertikalen Fachwerkstäbe der Bestandsstruktur wurden für die dynamischen Seillasten bemessen und weisen somit Lastreserven auf, die für die Lasteinleitung genutzt werden konnten.

Die Anbindung an die vier Eckstützen des Turmes sowie an die beiden Vertikalen im Osten erfolgte über Laschen, welche mittels hochfester Schrauben mit den Bestandsprofilen verbunden wurden. An den jeweils drei zur Anbindung ausgewählten Vertikalen im Norden und Süden mussten die Lasten aufgrund der Tragfähigkeit der Bestandsstruktur in den oberen und unteren Knoten der Stützen eingetragen werden. 

Das Anbindungsdetail der neuen Stahlstützen an die Bestandsstruktur erfolgte mittels Schrauben, wobei die Anschlussgeometrie der vorhandenen Nietverbindungen aufgenommen wurde. Die Niete wurden nach Abschleifen des Nietkopfes herausgebohrt und durch größere Passschrauben ersetzt. Falls notwendig, wurden zusätzliche Schrauben im Anschluss ergänzt. Das Lösen der vorhandenen Verbindungen verlangte einen streng nach vorgegebener Arbeitsanweisung erfolgenden Ablauf, da über diese Verbindungen auch die Lasten der Turmfördermaschinerie abgetragen werden. 

Die bestehenden Profile im Norden und Süden des Förderturmes waren zusammengenietete Bleche in Form eines I Trägers mit seitlichen, die Last in die Knotenbleche ein- bzw. ausleitenden L –Profilen. Im Knoten waren diese l-Profile durch Beiwinkel ergänzt, so dass das zusammengesetzte I-Profil durch ein Kreuz aus L-Profilen ergänzt wurde. Je nach Größe der einzuleitenden Last mussten zwei bis vier neue L-Profile ergänzt, bzw. an Stelle der bestehenden Stahlquerschnitte eingebaut werden. 

Eine detaillierte Arbeitsanweisung mit der Reihenfolge des Austausches der Beiwinkel bzw. der L-Profile musste befolgt werden, damit sichergestellt war, dass die ständigen Lasten aus den Maschinen der Turmförderung auch in der Bauphase abgetragen werden können.

In den oberen drei Ebenen wurden gezielt Profile mit größeren Querschnitten als die der Bestandsprofile eingebaut, womit der Kraftfluss der Aufstockungslasten über die Steifigkeit der neu eingebauten Fachwerkstäbe gesteuert werden konnte. Dadurch fließt die Gesamtlast aus der Aufstockung über eine Höhe von drei Stockwerken in die vier Eckstützen und die Lasteinleitung korrespondiert mit dem nach unten größer werdenden Stützenquerschnitt der Bestandseckstützen (vgl. Bild 3). 

Damit waren die Bemessungslasten der Bestandsstützen infolge der Lasteinleitung der Vertikallasten aus der Gebäudeaufstockung nicht größer als die ursprünglichen Bemessungslasten, für welche die Stützen in den oberen drei Bestandsebenen ausgelegt waren. 

4. Stahltragwerk Aufstockung
Das Stahltragwerk der Aufstockung gliedert sich in fünf Geschosse mit einer Höhe von 3,90m in den Büroetagen und 3,17m im Technikgeschoss. Mit der 3,60m hohen umlaufenden Fassade der Dachterrasse erreicht das neue Gebäude eine Höhe von 83,90m. Bild 2 zeigt einen Schnitt durch das Gebäude in Ostwestrichtung. In den oberen vier Geschossen und in der Fassade der Dachterrasse wurden im Süden und Norden sechs Stützen mit einem schlanken Rechteckquerschnitt 300x120mm vorgesehen. Im Osten wurden zwei Stützen mit demselben Querschnitt in die Fassadenbekleidung integriert
Der Westen mit den Terrassen blieb stützenfrei.

Auf Bild 5 ist eine Südansicht der Stahlbauaufstockung während der Bauphase zu sehen. Die Hauptdeckenträger HE-M 400 mit einer Spannweite von 12,10m liegen seitlich auf einem Randträger HE-A 300 auf, welcher als Durchlaufträger zwischen den sechs Hauptstützen spannt. Die Hauptdeckenträger schließen jeweils in Feldmitte zwischen den Stützenachsen an den Randträger an. Im Bereich der Terrassen auf den Büroetagen sind die Deckenträger mit den Randträgern zu einem liegenden Rahmen verbunden, der die Horizontallasten in die Deckenscheiben leitet.

Die Fugen zwischen den Fassadenelementen sind wegen der geforderten hohen Transparenz sehr schlank gehalten. Damit aufgrund der unterschiedlich auftretenden Verkehrslasten in den jeweiligen Büroetagen keine großen Differenzverformungen auftreten können, wurde die Fassade auf der Westseite an einen von der Deckenbelastung entkoppelten zusätzlichen Deckenträger HE-A 400 gehängt.

In der Ebene direkt über dem Bestandsturm auf +61,61m wurden im Süden und Norden geschosshohe Fachwerkträger ausgebildet, die zwischen dem neuen Achssystem der Aufstockung und der Lage der Vertikalen des Bestandstragwerkes vermitteln. 

Die Decken der Aufstockung wurden aus Gründen der Gewichtsersparnis als Spannbetonhohldielendecken mit einer Höhe von 15cm ausgeführt. Die Hohldielenelemente liegen auf einem an den Deckenträger angeschweißten Auflagerblech auf. 

Die Hohldielendecken sind jeweils in Verbindung mit den Stahlunterzügen als Scheiben ausgebildet. Im Bereich großer Deckenöffnungen wurden Ortbetonbereiche vorgesehen. Zur Lastein- und -ausleitung wurden an den Stahldeckenträgern Kopfbolzendübel an den Stegen angeordnet, welche die Horizontallasten der Scheibenränder in die benachbarten Scheiben und in die Anbindung an das Erschließungsbauwerk übertragen.

5. Stahlbetontragwerk Erschließungsturm
Das 84,75 m hohe Erschließungsbauwerk mit einer Grundrissabmessung von 13,20m x 4,50m besteht aus einem Beton C35/45. Die äußeren Wände und die Wände der beiden Aufzugsschächte wurden mit einer Kletterschalung hergestellt. Die Podeste und Fertigteiltreppenläufe wurden im Nachgang eingebaut. In die 60 cm starke Brandwand auf der Seite des Bestandsturms sind die beiden Versorgungsschächte integriert. Im südlichen Bereich dieser Wand wurden Hohlräume mittels eingestellter PVC-Rohre hergestellt um Gewicht einzusparen. In Verlängerung der Brandwand schließen die beiden Aufzugsschächte an. Die beiden Außenwände im Süden und Osten sind als Pfosten-Riegelfassade ausgebildet. Die Stützen haben Abmessungen von 30 x 35cm und stehen in einem Abstand von 30cm bzw. 90cm.

Das Erschließungsbauwerk steht auf einem Kellerkasten mit den Abmessungen 42,20m x 8,70m. Dort sind die Technikräume für die Aufstockung und der Sprinklertank untergebracht. Das Kellergeschoss wurde als weiße Wanne mit einer maximalen Rissbreite von 0,15mm geplant. Hier war die Forderung der Gasdichtigkeit maßgebend. Die Bodenplatte des Kellers ist 97cm stark und wurde auf 22 Bohrpfählen mit einem Durchmesser von 1,20m gegründet, die bis zu 37m in den Mergel einbinden. 
Zur Aufnahme der Horizontallasten sind sieben der 22 Bohrpfähle mit einer Neigung von 7° eingebaut. 

6. Zusammenspiel der Gebäudeteile Stahlfachwerk / Stahlbetonröhre
An den Grundrissmaßen des Erschließungsbauwerkes und den Auskreuzungen der Aufstockung wird das tragwerksplanerische Zusammenspiel der beiden Gebäudeteile sichtbar. Die Gebäudeteile übernehmen jeweils entsprechend ihrer Einzelsteifigkeit einen Lastanteil der Horizontallasten. In Ostwestrichtung trägt fast ausschließlich das Stahlfachwerk die Horizontallast, in Nordsüdrichtung wird die Horizontallast größtenteils von der Betonröhre abgetragen. Die Verbindung der beiden Gebäudeteile ist wegen der möglichen Lasteinleitung auf die Aufstockungsebenen beschränkt. Eine Anbindung im Bereich des Bestandsturmes bis zu einer Höhe von 62m wurde nicht geplant. 

Die Aussteifung des Gebäudes erfolgt in Ostwestrichtung über die beiden großen Auskreuzungen aus HE-A 240 Profilen, welche hinter der Nord- und Südfassade innerhalb des Gebäudes der Stahlbauaufstockung liegen. Die Horizontallasten der Süd- und Nordseite werden in Ebene +46,25 m in das bestehende Stahlfachwerk geleitet.

In Nordsüdrichtung ist eine mit Diagonalen ausgekreuzte Scheibe aus Profilen HE-B 200 mit einem Hebelarm von drei Metern an der Rückwand des Versorgungsschachtes innerhalb des Grundrisses der Aufstockung angeordnet. Zur Erhöhung der Steifigkeit dieses Verbandes ist der Deckenträger HE-M 400 als Outrigger ausgebildet und gibt Lasten in die Südfassade ab. Die wesentliche Aussteifungslast wird indes über die Deckenscheibe und den horizontalen Verband aus Profilen HE-B 200 unterhalb der Brücke, die den Erschließungsturm mit der Aufstockung verbindendet, in das Erschließungsbauwerk geleitet.

Durch dieses Konzept konnten die Normalkräfte aus Wind und Lotabweichung auf die Bestandsstützen vergleichsweise gering gehalten werden. Eine Mehrbelastung der Fundamente wurde durch das Gründen des Erschließungsbauwerkes auf Bohrpfählen weitestgehend vermieden. Unterhalb der Bodenplatte ist eine weiche Dämmschicht verlegt, so dass bei Aktivierung der Bohrpfahlwiderstände keine Lasten von der Bodenplatte an den Untergrund abgegeben werden. Die Mantelreibung der Bohrpfähle in direkter Nähe der Bestandsfundamente ist im oberen Bereich durch Belassen des Stahlhüllrohres größtenteils ausgeschaltet.

Fertigstellung
2010
Architekt
Professor K.H. Petzinka, Natalie Ness, René Clasen Architekt Ausführung: THS GmbH
Ingenieur
Weischede, Herrmann und Partner, whp
Bauherr
THS GmbH,
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