Zentraler Omnibusbahnhof Hannover

Der Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaues 2017 ist juriert:
AUSZEICHNUNG
Werner Sobek | Werner Sobek Group GmbH, Stuttgart
Die optisch ansprechende Gitterrost-Struktur mit ausgeklügelter Materialverteilung und optimiertem Materialverbrauch ist eine gelungene Aufwertung des Platzes. Die sehr sauber entsprechend dem Kraftfluss ausgeformte Dachkonstruktion erhält ihren besonderen Reiz dadurch, dass die errechnete erforderliche Profilhöhe sich direkt in der Form umsetzt. Das iterative Verfahren zur Lösung der Aufgabe beschreibt sehr schön das grundlegende Vorgehen der Tragwerksplanung mit ingenieurmäßigen Ansätzen. Mit dem Licht ändert das ZOB-Dach seine Wirkung: mal wirkt es luftig und leicht, dann wieder wie eine graue Wolke. Technisch und gestalterisch eine gute Lösung.
Erläuterungstext von Werner Sobek zur Einreichung beim 'Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaues 2017':
Aufgabenstellung
Der neue Zentrale Omnibusbahnhof (ZOB) Hannover ist ein Beitrag zur Neudefinition eines Ortes im Stadtgefüge - eines Ortes, an dem bis dahin unklare Raumkanten und eine niedrige Aufenthaltsqualität vorherrschten. Wie eine leichte, sanft leuchtende Wolke sollte das Dach Schutz vor der Witterung bieten und zugleich gestaltbestimmend für den Platz werden. Um dies zu ermöglichen, sollte das Dach zum einen einfach und klar strukturiert sein; zum anderen sollte es durch eine dem Kraftverlauf entsprechende Untersicht die Dynamik des Ortes aufnehmen.
Foto: Frank Aussieker, Hannover
Der Entwurf von Werner Sobek für eine Überdachung des neuen Zentralen Omnibusbahnhofs (ZOB) in Hannover ging 2011 als Sieger aus einem Wettbewerb hervor. Das mit Glasscheiben belegte Dachtragwerk besteht aus einer regelmäßigen Gitterrost-Struktur, die auf insgesamt 16 unten eingespannten und teils unregelmäßig angeordneten Stahlrundstützen gelagert ist. Die Gitterrost-Struktur selbst besteht aus Rechteckhohlprofilen, die in ihrer Höhe dem Momentenverlauf im Trägerrost folgen sollten.
Die zu lösende Ingenieuraufgabe bestand zum einen in der tragwerksplanerischen Umsetzung der architektonischen gewollten dynamischen Untersicht mit sehr schlanken Profilen und weiten Spannweiten. Hierfür war eine größtmögliche Gewichtsersparnis erforderlich. Zum anderen galt es zur Einhaltung der strengen Budgetvorgaben, den Stahlverbrauch auch aus ölonomischen Gründen auf das absolute Minimum zu reduzieren.
Lösungsweg
Bei Tragwerken, deren Dimensionierung durch die Forderung nach Einhaltung von Grenzwerten der Verformung bestimmt wird, muss, gegenüber einem Spannungs- oder Stabilitätsproblem, zusätzliches Material mit dem Ziel einer Erhöhung der Steifigkeit in die Konstruktion eingebracht werden. Hinsichtlich der Frage, wo im Tragwerk ein Plus an Material am wirkungsvollsten einzusetzen wäre, stoßen insbesondere bei komplexen Strukturen sowohl einfache Überlegungen wie auf Erfahrung basierende Vorgehensweisen schnell an ihre Grenzen. Die von Werner Sobek entwickelte „Methode der Verformungsreduzierung durch Materialumverteilung“ (MVM) bietet ein praxistaugliches Instrument zur Lösung dieses Problems an. Sie basiert auf der Idee, ein Tragwerk in einem ersten Schritt mit Material zu belegen und diese Materialbelegung anschließend in einem iterativen Verfahren so umzulagern, dass die für Einhaltung von Grenzwerten der Verformung wesentlichen Bauteile mehr, die verbleibenden Bauteile entsprechend weniger Material zugewiesen bekommen. Die Gesamtmasse des Tragwerks bleibt in diesem ersten Verfahrensschritt zunächst erhalten. Falls die ermittelten kritischen Verformungen nach abgeschlossener Materialumverteilung kleiner sind als die vorgegebenen zulässigen Verformungen, kann die Gesamtmasse des Tragwerks in einem weiteren, übergeordneten Verfahrensschritt reduziert werden.
Bei der statisch mehrfach unbestimmten Dachstruktur des ZOB Hannover war auf den ersten Blick nicht ersichtlich, wie das zur Verfügung stehende Material am Besten innerhalb des Tragwerks verteilt werden kann. Diese Materialverteilung wurde unter Verwendung des oben beschriebenen Verfahrens ermittelt werden. Verformungen sollten hierbei im gesamten Dachtragwerk reduziert werden. Hierzu wurde ein Einheitslastfall erzeugt, bei dem alle Knoten des Tragwerks gleichzeitig mit einer vertikalen Einheitslast belastet werden. Anschließend wurde der Mittelwert der Verformungen aller Knoten durch die Materialumverteilung reduziert. Die bei diesem Tragwerk architektonisch zugelassene Querschnittsmodifikation bestand in einer Anpassung der Querschnittshöhe, kombiniert mit einer Anpassung der Blechstärken nach innen.
Die schematischen Darstellungen des Tragwerks während des Optimierungsprozesses zeigen die Dachstruktur mit ihrer Ausgangsgeometrie und der optimierten Geometrie. Es ist deutlich erkennbar, dass sich die architektonisch gewollte Gestaltung des Tragwerks (also eine den Stützmomenten folgende Trägerhöhe) automatisch einstellt. Die insbesondere in den Eckpunkten des Tragwerks vorhandene Verformung konnte gegenüber dem geradlinig und gleichförmig gestalteten Ausgangstragwerk deutlich von 960 mm auf ca. 135 mm reduziert werden. Dieses Ergebnis stellte sich nach nur sieben (!) Iterationsschritten ein. Der max. Ausnutzungsgrad wurde dabei von ursprünglich 229 % (statisch nicht zulässig) auf 66 % (also statisch zulässig) reduziert. Der Ausnutzungsgrad wurde insgesamt deutlich vergleichmäßigt.
Zusammenfassung
Ergebnis des von Werner Sobek durchgeführten Optimierungsprozesses ist eine ca. 1.400 m² große Dachstruktur, die aus einem orthogonalen Trägerrost aus geschweißten Stahlhohlprofilen besteht. Dieser Rost lagert biegesteif auf Stahlrundstützen auf, die in einem maximalen Abstand von 12 m zueinander positioniert sind. Während die Oberkante der Struktur nahezu horizontal 6,5 m oberhalb des Bodens verläuft, verändern sich die Unterkanten der Profile, so dass eine dynamische, wellenartige Untersicht entsteht.
Die gewählte Form ist tragwerkstechnisch äußerst vorteilhaft, da die höheren Profile der Konstruktion oberhalb der Stützen im Bereich des dort wirkenden Stützmomentes eine maximale Steifigkeit geben. Im Feldbereich hingegen wird infolge der geringeren Profilhöhen das Eigengewicht der Konstruktion minimiert. Somit harmonisiert eine technische optimierte Ausbildung des Tragwerks mit der architektonisch intendierten Formgebung des Daches.
Das von Werner Sobek entworfene und geplante Dach über dem neuen ZOB in Hannover ist sowohl hinsichtlich seiner Formgebung als auch seines Materialverbrauchs optimiert. Es stellt ein gelungenes Beispiel für leichte, weit spannende Dachtragwerke aus Stahl dar. Die Vorzüge des Baustoffs kommen hier optimal zur Geltung. Die tragwerksplanerische Optimierung ermöglicht durch die erzielte Gewichtseinsparung deutliche ökonomische und ökologische Vorteile.