Frage: „Umwelt- und Klimaschutz sind gesellschaftliche Aufgaben von allerhöchster Priorität. Es gibt praktisch kein nennenswertes Unternehmen, das sich nicht Ökologie und Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben hat. Wie halten Sie es – im Verband und im Unternehmen – mit der ökologischen Transformation zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft?“
Constantin von Livonius: „Ich bin davon überzeugt, dass Stahl bei der Dekarbonisierung der Gesellschaft eine entscheidende Rolle spielt und einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Problems leisten wird. Da sind wir auf einem guten Weg. Und weil wir früh Weichen gestellt haben, haben wir auf diesem Weg auch schon eine beachtliche Strecke zurückgelegt. Dabei muss man differenzieren. Wir haben zwei große Baustellen: Als energieintensive Branche haben wir einen hohen CO2-Fußabdruck. Das ändert sich nun: Das Ende der traditionellen Hochofentechnologie ist eingeläutet, neue Anlagen für das Direktreduktionsverfahren – erst mit Erdgas und später mit Wasserstoff – sind bereits in der Planung. In Hamburg betreiben wir übrigens bereits seit 1970 die einzige Direktreduktionsanlage in ganz Europa und haben damit schon heute bei der Produktion nur etwa 60 Prozent der CO2-Emissionen im Vergleich zu traditionellen Hochöfen. Mit hohem Druck arbeiten wir daran, in Zukunft Erdgas durch grünen Wasserstoff zu ersetzen, um später CO2-freien Stahl herstellen zu können. Bis die nötigen Kapazitäten aufgebaut sind, werden noch ein paar Jahre vergehen. Aber der Prozess läuft und wir sind sicher, auf dem richtigen Weg zu sein.“
Frage: „Und die zweite große Baustelle?“
Constantin von Livonius: „Die Transformation des Bauens. Da hat das Bauen mit Stahl schon jetzt einen großen Vorsprung. Das liegt zunächst einmal an der guten „DNA“ von Stahl im Vergleich zu anderen Baustoffen. In Deutschland produzierter Profilstahl ermöglicht Tragwerke mit einer CO2-Einsparung von rund 35% gegenüber der typischen Betonbauweise. Nicht nur deshalb ist das Bauen mit Stahl schon heute grüner als andere Bauweisen. Auch innerhalb der Stahlbauweise haben wir als bauformstahl Fortschritte gemacht. In der neuen Umweltproduktdeklaration (EPD) können wir zum Beispiel nachweisen, dass unsere Langprodukte in der Herstellung fast 60 % weniger CO2 ausstoßen als der Marktdurchschnitt der in Deutschland eingesetzten Stahlbauprofile. In der Zukunft und für die Zukunft heißt Bauen ressourcenschonendes, energiesparendes und abfallminimiertes Bauen in konsequenter Kreislaufwirtschaft. Auch hier haben wir einen Riesenvorteil: die Kreislauffähigkeit des Stahls ohne Qualitätsverlust. Das heißt zugleich 100%ige Ressourceneffizienz: einmal produzieren, immer wieder nutzen. Stahl kann immer wieder aufs Neue eingeschmolzen und von Neuem als Produkt eingesetzt werden. Natürlich ist auch der Recyclingprozess nicht klimaneutral. Aber wenn wir dahin kommen, mit standardisierten Bauteilen zu bauen, die leicht zu montieren und zu demontieren sind und anderenorts neu montiert werden können, lässt sich unser CO2-Fußabdruck tatsächlich auf ein Minimum reduzieren.“
Frage: „Wie sieht das konkret im eigenen Unternehmen aus? Wie wollen Sie Ihrem Ziel näherkommen, bis 2050 kohlenstoffneutral zu werden?“
Constantin von Livonius: „Wir haben mit XCarb® eine Dachmarke ins Leben gerufen, die alle Aktivitäten von ArcelorMittal im Bereich der kohlenstoffarmen und kohlenstofffreien Stahlerzeugung sowie weitere Initiativen und grüne Innovationsprojekte zusammenfasst. Sie ist der Beweis für unsere Entschlossenheit und unser wachsendes Engagement, bis 2050 kohlenstoffneutral zu werden. Im Rahmen dieses Programms haben wir drei XCarb®-Initiativen gestartet: den „XCarb®-Innovationsfonds“, „XCarb®-Green-Steel-Zertifikate“ und „XCarb® Recycelt und erneuerbar hergestellt“ für Produkte, die im Elektrolichtbogenofen aus Schrott hergestellt werden. Wir werden auch weiterhin Innovationen vorantreiben, um unsere Dekarbonisierungsziele zu erreichen, und sind entschlossen, den Übergang der Branche zu kohlenstoffneutralem Stahl anzuführen. Wir verfügen über die Größe, die Ressourcen, die technologischen Fähigkeiten und den Ehrgeiz, um eine bedeutende Wirkung und eine große Transformation umzusetzen.“
Frage: „Ist Umwelt für Sie Chefsache?“
Constantin von Livonius: „Ja, wenn damit gemeint ist: Verantwortliches Klima- und Umwelthandeln hat höchste Priorität. Und wenn es um Investitionsentscheidungen geht, die nun einmal nur von oben kommen können. Aber es ist eben nicht nur Chefsache allein. Die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit gelingt nur da, wo alle beteiligt werden – und wo alle an einem Strang ziehen!“