Text von 2hs Architekten und Ingenieur PartGmbB Hebel Heisel Schlesier

Der Mehr.WERT.Pavillon ist Teil des sogenannten Mehr.WERT.Gartens, ein Partnerprojekt des Umweltministeriums Baden-Württemberg mit den Entsorgungsbetrieben der Stadt Heilbronn, und liegt im Experimentierfeld der Bundesgartenschau Heilbronn 2019, dem sogenannten Inzwischenland.
Entworfen und gebaut haben den Pavillon Studierende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und das Büro 2hs mit Lisa Krämer und Simon Sommer.

Das Projekt Mehr.WERT.Pavillon demonstriert einen innovativen und sinnvollen Einsatz vorhandener Ressourcen. Alle im Projekt eingesetzten Materialien haben bereits mindestens einen Lebenszyklus durchlaufen, entweder in gleichbleibender oder veränderter Gestalt. Ebenfalls sind alle Materialien sortenrein verbaut und nach dem Rückbau wiederum komplett trennbar. Bei dem Projekt kommen keinerlei Kleber, Silikonfugen, Anstriche oder sonstigen Imprägnierungen zum Einsatz.

Konzeptionell liegt dem Projekt dabei eine stoffliche Schichtung zugrunde: Die tragende Struktur ist komplett aus Stahl gefertigt, welcher größtenteils aus einem zurückgebauten Kohlekraftwerk stammt.

Die Fassade zeigt wiederverwertete Glasmaterialien aus dem Glascontainer, wie Glaskeramik oder Schaumglas. Die Bodenflächen im Garten und unter dem Pavillon sind mit mineralischen Bauabruchstoffen belegt, welche direkt oder in weiterverarbeiteter Form von Recyclinghöfen stammen. Die Möbel und Einbauten sind aus wiederverwerteten Kunststoffmaterialien hergestellt.

Struktur aus Stahl

Das Steinkohlekraftwerk Knepper in Castrop-Rauxel wurde 2001 außer Betrieb gesetzt und ab 2018 von der Firma Hagedorn vollständig rückgebaut. Dieses gigantische Materiallager benutzter Baustoffe diente als Ressource für die Struktur des Mehr.WERT.Pavillons. Die im Kraftwerk als Druckleitungen genutzten Stahlrohre, die in unterschiedlichen Querschnitten vorhanden waren, waren ideal für den Einsatz in dessen tragender, baumartiger Struktur geeignet.

Vor dem Ausbau der Rohre erfolgte eine Bestandsaufnahme vor Ort. Längen, Wandstärken und Durchmesser der im Kraftwerk vorhandenen Rohrleitungen wurden erfasst. Dieser Datensatz stellte die parametrische Grundlage der statischen Formfindung der Baumstruktur sowie der Dimensionierung ihrer einzelnen Elemente (Äste).

Die Formfindung der Struktur war in einem ersten Schritt (als studentischer Entwurf) noch mit Hilfe eines analogen Hängemodells aus verknoteten Schnüren und Gewichten erfolgt. Während der Ausführungsplanung des Pavillons wurde die Formfindung am digitalen Modell ausgeführt.

Randparameter, wie untere Auflagerpunkte und Anknüpfungspunkte an die Fassaden wurden definiert. Parameter waren hier aber vor allem die erfassten Daten des Bestands als Materiallager möglicher Querschnitter und Abmessungen, aus denen sich der Entwurf bedienen konnte. Um Aufwand und Kosten der Realisierung möglichst gering zu halten, wurde weiterhin die Vorgabe berücksichtigt, dass nur einfache Aufgabelungen der Baumstruktur erfolgen, also an jeden Knoten lediglich drei Rohrprofile angreifen. Dies ermöglichte, dass trotz der komplexen dreidimensionalen Geometrie die Struktur der Bäume nur aus ebenen Y-förmigen Elementen besteht. Die Fügung dieser Elemente erfolgt über kreisrunde Flanschplatten mittels Verschraubungen, sodass ein vollständiger Rückbau und eine Wiederverwendung der Struktur möglich ist.

Die Maßhaltigkeit der ausgebauten Rohrquerschnitte wurde per Sichtprüfung vorgenommen. Um sie in der neuen Struktur wiederverwenden zu können, war ferner die Bestimmung der Materialeigenschaften des Altstahls notwendig. Die Bestimmung der Materialgüte erfolgte im Labor durch Zugprüfung, Kerbschlagversuch und chemische Analyse. Die Ergebnisse dieser Tests zeigten, dass der durch Rückbau gewonnene Stahl einem gewöhnlichen Baustahl gleichwertig ist, sodass einem Einsatz in der tragenden Konstruktion des Pavillons nichts Wege stand.

Fassade aus Glas

Die Fassade zeigt hauptsächlich zwei verschiedene Produkte aus Brauch- und Bruchglas. Magna Glaskeramik wird zu 100 Prozent aus Recyclingglas hergestellt und kann nach Gebrauch vollständig und hochwertig wieder dem Glaskreislauf zugeführt werden. Transparentes, grünes oder braunes Flach- und Flaschenglas werden durch einen Sinterprozess zu Glaskeramik verschmolzen, wobei die Farbigkeit und Form der Glasscherben erhalten bleiben und eine besondere Ästhetik entsteht. Das zweite Produkt, Foamglas wird ebenfalls aus Recyclingglas hergestellt, welches durch Zugabe von Gas zu einem leichten, aber druckstabilen Dämmmaterial aufgeschäumt wird. Schaumglas kann nach Gebrauch wieder zu neuwertigem Schaumglas verwertet werden.

Für beide genannte Bauprodukte liegen keine baurechtlichen Nachweise der Einbauart in Form von linienförmig gelagerten Scheiben und Platten im vertikalen und horizontalen (überkopf) Bereich der Gebäudehülle vor. Daher wurde eine Zustimmung im Einzelfall für das Bauvorhaben erwirkt. Die Berechnung und Bemessung der glasbasierten Scheiben und Platten erfolgte analog DIN 18008, Glas im Bauwesen. Neben einer projektbezogenen Bestimmung der Biegezugfestigkeit der Glaskeramikscheiben wurde unterhalb des Überkopfbereichs des Daches ein metallisches Sicherungsgitter vorgesehen, welches im Falle eines Glasbruchs das Herabfallen scharfkantiger Splitter verhindert.

Aufgrund der Lagerung der baumartigen Hauptstruktur auf lediglich vier Fußpunkten und dem Einsatz schlanker Fassadenprofile, verhält sich die Gesamtstruktur relativ verformungsweich. Die Herausforderung im Tragwerksentwurf, der Dimensionierung und der Planung der Rahmenstruktur der Geb.udehülle bestand daher darin, die Einleitung von Zwangskräften aus der Verformung der Stahlkonstruktion in die Glaskeramik zu vermeiden und trotz schmaler Klemmleisten eine ausreichende Sicherung der Scheiben zu gewährleisten.

Fundamente aus Recyklat

Die vier Einzelfundamente unter den Fußpunkten der Baumstruktur wurden aus Betonfertigteilen aus Recyclingbeton erstellt. Die einzelnen Fertigteile identischer Größe wurden versetzt übereinander zu Fundamentkörpern mit geeigneter Aufstandsfläche gestapelt. Die horizontalen Oberflächen der Einzelblöcke verfügen zur horizontalen Verzahnung über Noppen und entsprechende Hohlkörper. Die Fügung durch bloßes Stapeln ermöglicht somit einen unversehrten Rückbau und eine verlustlose Wiederverwendung der Blöcke.

Boden aus Bauschutt

Der Boden kombiniert verschiedene mineralische Materialien, gefasst in Stahlrahmen als ‚Gefallenes Laub’ der Baumstruktur. Zur Anwendung kommen Beton- und Ziegelbruch in verschiedenen Körnungen, direkt wiederverwendete Klinkersteine und sogenannte WasteBasedBricks der Firma StoneCycling. Dieses kleine niederländische Start-Up verarbeitet mineralischen Bauschutt zu neuen Backsteinen – im Falle des Mehr.WERT.Pavillons in die Sorten Salt&Pepper, Blackpepper und Salami.

Die Fläche zwischen dem Laub wird als wassergebundene Fläche aus Porzellanbruch ausgebildet Gebrochene Teller und Tassen aus Produktionsausschuss und Recyclinghöfen werden hierzu gemahlen und als sortenreine Bodenschicht aufgebracht.