Dr.-Ing. Dieter ReitzWährend der Veranstaltung erwartete die Teilnehmenden ein spannendes Programm. Eröffnet wurde der 18. Fachtag Brückenbau vom Vorsitzenden der Fachgemeinschaft, Dr.-Ing. Dieter Reitz. Sein starkes Statement zur Eröffnung lautet: „Gemeinsam verfolgen wir seit mehr als einem Vierteljahrhundert ein Ziel: aktuelle Entwicklungen im Brückenbau miteinander zu teilen, ein fachlich kompetentes Netzwerk für die Ausschreibung und Vergabe von Großbrücken aufzubauen und Erfahrungen auszutauschen. Die Stahl- und Stahlverbundbauweise besticht im Brückenbau architektonisch durch ihre hohe ästhetische Anmutung. Schlanke und filigrane Baukörper, gepaart mit großen Spannweiten, prägen dieses lmage. Technisch lassen sich mit der Stahlbauweise alle infrastrukturellen Anforderungen an das Brückenbauwerk realisieren.“

Autobahnen ertüchtigen

Der „aktuelle Stand und die Perspektiven  im Bereich der Nachhaltigkeit und Vergabe bei Autobahnen“ war das Thema des ersten Referenten, Rainer Siegel von der Autobahn GmbH des Bundes (Berlin). Brücken bleiben hier im zentralen Fokus.

Ein paar Zahlen zu den Brücken auf Deutschlands Autobahnen:

  • 3,1 % der Brücken an Autobahnen stammen aus der Zeit vor 1959
  • rund 50 % aus den Jahren 1960 bis 1994.
  • I6.930 Autobahnkilometern  mit 10.683 Brückenteilbauwerke, von denen rund 4.000 zu sanieren sind

Rainer Siegel sagt hierzu: „Die Autobahn GmbH hat die Anforderung der Zukunft im Blick. Künftig wird die Nachhaltigkeit der Bauweise ein wichtiger Aspekt der Ausschreibung sein, um die Ziele des Green Deals zu erreichen.“ Nachhaltigkeit heißt hier: Erhaltung geht vor Neubau (Produktminimierung!), d.h. vorrangige Bearbeitung findet im Brückenmodernisierungsnetz statt – aber nicht ausschließlich. Im Neubau soll es zu verstärktem Einsatz von nachwachsenden und recyclierten Stoffen kommen, zur Fokussierung auf CO2-Reduktion und längere Lebensdauer. Dabei lassen sich durch serielle und standardisierte Brückentypen bei Planung, Prüfung und baulicher Umsetzung personelle Ressourcen optimieren.

Zukunftsweg modulares Bauen

Das Thema Modulbau und Standardisierung griffen Dipl.-lng. Thomas Lechner, SSF lngenieure AG (München), und Ulrich Castrischer vom Standort Berlin mit ihrem Vortragsthema: „Modulbauweisen im Verbundbrückenbau“. In den Jahren 2013 und 2022 wurden die SSF Ingenieure AG mit dem Ingenieurbaupreis des Deutschen Stahlbaus in der Kategorie Brückenbau ausgezeichnet, zuletzt für die Trogbrücke in Segmentbauweise über die Salzach. Überzeugt hat die Jury die innovative Brücke durch ihre schnelle Montage mittels der Modulbauweise bei gleichzeitig herausragender Gestaltung. Thomas Lechner stellte fest: „Modulares Bauen im Brückenbau ist eine große Chance, die in Deutschland noch zu wenig genutzt wird.“

Die Vorteile von Modulbauweisen im Brückenbau zusammengefasst:

  • erstens qualitativ hochwertige Fertigung der Einzelteile im Werk
  • zweitens eine deutlich verkürzte Bauzeit.

Vor allem für Ersatzneubauten im hoch ausgelasteten Straßennetz werden hierzulande Entwürfe benötigt, die in kurzer Bauzeit realisiert werden, aber dabei Umwelt und Verkehr möglichst nur minimal beeinträchtigen.

Brücken als Denkmäler

Wie wird mit historischen Brücken umgegangen? Aufgrund von Denkmalschutz ist das Verfahren hier häufig anspruchsvoller. So auch bei der Müngstener Brücke, der höchsten Eisenbahnbrücke Deutschlands. Die 1895 bis 1897 errichtete Stahlkonstruktion überspannt zweigleisig in 107 Metern Höhe das Tal der Wupper. Die Bahnstrecke verbindet die Städte Remscheid und Solingen. Dipl.-lng. Hans Gunter Gewehr, DB Netz AG (Düsseldorf), und Dr.-lng. Jens Kalameya vom Büro PSP Prof. Sedlacek & Partner GmbH (Dortmund) nutzten diese Brücke als Beispiel für Ihren Vortrag zum Thema „Erhalt von Eisenbahnbrücken im Spannungsfeld zwischen Betreiberanforderungen und Denkmalschutz“. Bestehende Brücken entsprechen nicht immer den heutigen und zukünftigen Anforderungen. So führen höhere Leistungstonnagen oder höhere Anforderungen in neuen Vorschriften zu Anfahr- und Bremslasten (ehemals: ca. 1/8 bis 1/7, heute 1/4 der Vertikallasten) bei älteren Bauwerken zu einer faktischen Nutzungsänderung. Bauzeitbedingte finden sich konstruktive Defizite in puncto Schweißtechnik, Stahlqualität, Detailausbildung oder technischer Kenntnisstand, und gleichzeitig verschlechtert sich naturgemäß der Zustand älterer Brücken, hier konkret: Feststellung von Ermüdungsrissen. Andererseits kann die technisch-wirtschaftliche Beurteilung nicht die einzige Grundlage sein – die historischen Stahlbrücken sind von hohem kultur- und historischem Wert und ein unbedingt unverfälscht zu erhaltender Teil der gebauten Umwelt und der regionalen Identität. Nach einer eingehenden ingenieurmäßigen Ermittlung der Gebrauchstauglichkeit und Tragfähigkeit der Gesamtkonstruktion unter Berücksichtigung der zeitlich geschuldeten Abnutzung ergab sich folgendes Bild: Eine neue Fahrbahn war als Schweißkonstruktion zu errichten, die bestehenden Festhaltungen mussten gegen Radialgelenklager ausgetauscht und die vorhandenen Rollenlager ersetzt werden.
„Das Beispiel Müngstener Brücke zeigt eindrucksvoll“, so Hans Gunther Gewehr, „dass zumindest auf schwächer befahrenen Strecken, bei enger und verantwortungsvoller Zusammenarbeit aller Beteiligten der aufgezeigte Spagat zwischen Betreiberverantwortung und Denkmalschutzanforderungen gelingen und für die Nachwelt ein imposantes Denkmal dauerhaft, stand- und verkehrssicher vorgehalten werden kann.“ Die Stärken des Verbundbaus hob Jens Kalameya hervor: „Die Praxis zeigt immer wieder, dass die Kombination aus den Werkstoffen Stahl und Beton für kleinere und mittlere Brücken die beste Lösung ist.“

Über die Havel

Mittelpunkt der Tagung war der „Ersatzneubau der Straßenbrücke Hennigsdorf“ über die Havel-Oder-Wasserstraße (HOW). Aufgrund von festgestellter Spannungsrisskorrosion von Spannstählen musste diese Brücke vorzeitig ersetzt werden, außerdem sollten die Brückenbauwerke über die HOW auf eine Durchfahrtshöhe von 5,25 m über dem jeweils gültigen oberen Betriebswasserstand angepasst werden. Die neue Brücke ist 60 m lang, ihre Stahlkonstruktion bringt 545 Tonnen auf die Waage. Die Brückenteile wurden in der Werkstatt in Magdeburg gefertigt und zur Montage an die Havel gebracht. Sie wird in Voreinbaulage betoniert und anschließend über Schwimmpontons in ihre Endposition eingeschoben. Die Entlüftungsöffnungen der Brücke, die die für den Korrosionsschutz notwendigen Dichtigkeitsprüfungen erlauben, liegen auf der Außenseite der Brücke. Dipl.-lng. Tonio Mohn vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Oder-Havel (Eberswalde) und Matthias Lange von der Stahlbau Magdeburg GmbH (Magdeburg) stellten das Projekt zunächst im Vortrag dar. Anschließend schlug eine Exkursion zur nahegelegenen Baustelle die „Brücke“ von der Theorie zur Praxis.