Text von Dr. Susanne Frank / bayer uhrig Architekten PartGmbB

Anker und Ruheraum

Kirchen sind besondere Orte. Wir brauchen diese Orte, an denen wir zur Ruhe kommen und Kraft tanken können. Kirchen sind identitätsstiftend und haben eine gesellschaftliche Bedeutung, und zwar über ihre eigentliche sakrale Funktion hinaus. In Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs und Wandels wird ihr Wert erneut bewusst. Es ist abzusehen, dass es aufgrund des Mitgliederschwunds zunehmend schwieriger wird, den Unterhalt und die notwendige Renovierung der Kirchen zu bewältigen. Umso wertvoller ist der Erhalt jedes einzelnen Gebäudes – ganz besonders dann, wenn es wie in diesem Fall gelingt, das historische Gebäude mit einer wesensverwandten Nutzung als Kolumbarium zu erweitern und zugleich den Räumen ganzheitlich eine neue Qualität und stimmige Atmosphäre zu verleihen.

Bayer Uhrig Architekten übernahmen die Aufgabe, ein Kolumbarium mit 1300 Grabkammern in die Kirche zu integrieren und die Räumlichkeiten im Zuge einer Renovierung an diese erweiterte Nutzung anzupassen. Die Architekten ordnen die Urnenwände in den beiden flachgedeckten Seitenschiffen orthogonal zu den Aussenwänden und damit quer zum Längsschiff des Kirchenraums an. Auf diese Weise schaffen sie zehn kleine Kapellen innerhalb der denkmalgeschützten Sakralarchitektur. Die neue räumliche Struktur für die Grabstätten fügt sich selbstverständlich und respektvoll in den Rhythmus der Arkaden ein. Im Vergleich zu dem ursprünglich vorgesehenen Ansatz, die Urnenwände längs, das heisst parallel zum Kirchenschiff aufzureihen, überzeugt die realisierte Lösung mit ihrer eigenen Qualität: Mit dem räumlichen Konzept der Kapellen entstehen Orte der Geborgenheit und des Rückzugs, die dennoch in einem Bezug zum großen Raum stehen. Sie sind zugleich geschützt und Teil des Ganzen.

Mit nur wenigen Eingriffen gelingt es, die neue Nutzung zu integrieren, die historische Substanz behutsam zu renovieren und damit dem Kirchenraum eine Bedeutung über seine sakrale Funktion hinaus zu schenken. Altes und Neues sind in ein stimmiges Ganzes zusammengeführt. Neben der Erweiterung als Kolumbarium haben die Architekten den zentralen Bereich des Kirchengestühls saniert, ebenso die Raumhülle des Kirchenraums. Die Eckkapellen sind umgewidmet und die ehemalige Taufkapelle ist zu einem Andachtsraum umgestaltet, der für kleine Trauerfeiern genutzt werden kann. Der Taufstein ist nun in der Achse zum Altar zentral im Eingangsbereich aufgestellt. Die Pfarrkirche nimmt die Verstorbenen in ihre Mitte auf, dort wo auch das Gemeindeleben und gemeinschaftliche Feiern stattfindet. Sie wird zu einem Ort der Erinnerung. Dass Leben und Tod untrennbar miteinander verbunden sind, spiegelt sich im räumlichen Konzept.

Die architektonische Gestaltung ist bewusst zurückhaltend, nichts drängt sich in den Vordergrund – und doch sind es die feinfühligen wohl abgestimmten Details, die maßgeblich zur atmosphärischen Kraft dieses Raums beitragen. Ornamentales Hauptmotiv ist die Rosette des großen Kirchenfensters der historischen Kirchenfassade im Westbau. Die Struktur des Motivs wird zum Thema der Gestaltung der aus Stahl gefertigten Urnenwände: Einmal in Form eines Reliefs in den glasierten Keramiktafeln, die die einzelnen Kammern verschließen, einmal in einer offenen, filigranen Struktur im oberen Teil der Nischenfelder. Das ornamentale Muster wird hier zum Lichtfilter, über den indirekt ein warmes Licht in die Nischen fällt. Die Grundstruktur des Sakralraums ist über diese Lichträume in den Spitzbögen sichtbar. Die Keramiktafeln, die die Urnengräber verschließen, sind wie eine Faltung angeordnet, wodurch jedes einzelne Feld als solches lesbar ist und damit eine Bedeutung erhält. Der Name der Verstorbenen ist in kleinen Messingtafeln eingraviert. Die Trauernden haben die Möglichkeit, ein persönliches Zeichen des Abschieds und der Erinnerung aufzustellen: für den Blumenschmuck sind kleine, schlichte Gefäße vorgesehen. Der Raum strahlt Wärme aus und lädt ein, sich zurückzuziehen und dort zu verweilen.

Im sakralen Hauptraum ist das Kirchengestühl aus dunklem Holz behutsam renoviert. Es steht auf einem dunklen Grund, ebenfalls aus Holz, und vermittelt, umgeben von den warmen Gold- und Cremetönen des Kolumbariums in den Seitenschiffen, das Gefühl, getragen und geerdet zu sein. Farben sind mit äußerster Zurückhaltung eingesetzt. Sie bleiben den historischen Elementen vorbehalten, dem großen Rosetten-Fenster in der Westfassade und der Kassettendecke, die dezent farbig gefasst ist. Einzig die Farbe Violett ist in ihrer liturgischen Bedeutung als Sinnbild für Übergang und Verwandlung in Hinblick auf die neue Nutzung als Kolumbarium aufgegriffen.

Das Ergebnis ist ein Raum von großer Klarheit, Ruhe, Kraft und Wärme. Die Umgestaltung des Kirchenraums mit der Erweiterung seiner Nutzung ist ein Gewinn: räumlich, architektonisch, atmosphärisch – und als Raum für die Gemeinschaft, der in die Zukunft trägt.

Laudatio der Jury

Der behutsame Materialeinsatz führt zu einer filigranen und zurückhaltenden Ästhetik, die dem Kolumbarium eine wohltuende Ruhe verleiht.

Der an sich als kühl geltende Baustoff Stahl erhält durch die Hinterleuchtung der feinen Ornamentik eine dem Ort angemessene Wärme.