Text: Schlaich Bergermann Partner / Sauerbruch Hutton
Das zeichenhafte Gebäude der Experimenta liegt im Zentrum von Heilbronn auf einer Insel im Neckar, in deren Umgebung die Bundesgartenschau 2019 stattgefunden hat. Zusammen mit dem benachbarten ehemaligen Speichergebäude bildet das Gebäude ein Ensemble. Das Gebäudepaar umrahmt eine kleine Piazza, die den Auftakt des Museumsrundgangs bildet.
Das Science Center mit rund 18.000 m² Fläche ist als räumliche Spirale konzipiert. Diese entwickelt sich rund um ein zentrales Atrium nach oben und inszeniert dabei vielfältige Raumfolgen und gezielte Ausblicke in die umgebende Stadt und die Weinberge. Nach Passieren des Foyers gelangen die Besucher über diese „Raumspirale“, die als Erschließungs- und Erholungsfläche dient, in die geschossweise versetzt angeordneten „Themenwelten“, mit den eigentlichen Ausstellungsflächen, und die „Studios“, in denen die jungen Besucher Gelegenheit finden, das eben Gelernte in eine konkrete Anwendung umzusetzen. Letztere Räume liegen als gläserne Korpusse mittig im Atrium. Der Weg nach oben endet auf einer großen Dachterrasse, die einen Panorama-Ausblick über das Neckartal bietet und auf der sich eine Sternwarte mit leistungsfähigen Teleskopen befindet. Im flachen Gebäudeteil befindet sich im Erdgeschoss das Restaurant sowie der zweigeschossige Science Dome – eine Kombination aus Planetarium und Experimentalbühne mit einem drehbaren Auditorium für bis zu 150 Zuschauer.
Die fünf Geschosse des geometrisch anspruchsvollen Bauwerks verfügen über ähnliche, pentagonale Grundrisse, die zueinander verdreht und übereinander gestapelt sind. Sie bestehen jeweils aus den „Themenwelten“ und der „Raumspirale“, welche die Stockwerke miteinander verbindet. Für diese beiden funktionalen Hauptelemente, die sich u-förmig um den Erschließungskern und das Atrium gliedern, galt es, ein funktionales und wirtschaftliches Tragsystem zu entwickeln.
Aus der Planung
Tragwerkskonzept
Konstruktiv wird der Experimenta-Bau von raumhohen Fachwerkträgern gegliedert, die geschossweise über Stahlbetondecken mit dem Stahlbetonkern verbunden sind. Die dadurch in sich steife Gesamtkonstruktion ermöglicht großzügige, stützenfreie Ausstellungsräume. In der Fassade lässt sich diese Konstruktion an den dreiecksförmigen Aluminium-Fassadenelementen und Glasflächen ablesen.
Wesentlich für den vertikalen Lastfluss ist, dass ein Großteil der Vertikallasten an den Schnittstellen übertragen wird, an denen sich die einzelnen Geschosse im Grundriss verschneiden. Die in diesem Verschneidungsbereich liegenden Hauptstützen wurden im Entwurf durch Optimierungsläufe so angeordnet, dass sie die Lasten über mehrere Stockwerke ohne Umwege durch das Gebäude führen (Abb. E)
Als effiziente Tragelemente zwischen den Stahlverbund-Hauptstützen wurden geschosshohe Stahlfachwerke gewählt, da diese die Kräfte entlang ihrer freien Spannweite verformungsarm verziehen können und von einem steifen Verschneidungspunkt zum nächsten spannen. Die Einteilung der Fachwerke ist somit von den Abständen der Hauptstützen und zusätzlich von der modular optimierten Einteilung der Fassadenelemente abhängig, an die sich die Diagonalen anpassen. Dadurch ergeben sich vielfältige Fachwerkgeometrien sowie unterschiedlich geneigte Diagonalen.
Im Zuge der Entwurfsoptimierungen wurde früh erkennbar, dass die Fachwerkwände der Themenwelten ausreichend tragfähig und versteifend waren. Die darunter eingefügten Raumspiralen konnten daher (außer an den durchgängigen Hauptstützen) nahezu tragwerksfrei mit reinen Zugelementen abgehängt werden, was wiederum eine offene Fassadengestaltung mit großflächigen Glasscheiben zuließ. Dies ermöglichte die im Gebäudekonzept vorgesehenen Panorama-Ausblicke und wirkte sich auch positiv auf die Wirtschaftlichkeit und Montage des Stahltragwerks aus. Verbunddecken mit Trägerabständen von 3 m und Spannweiten bis 15 m spannen vom Stahlbetonkern und von den inneren Fachwerken rund um den Atriumbereich hin zu den äußeren Wänden. Dadurch ermöglichen sie die geforderten stützenfreien Ausstellungsbereiche.
Der Gebäudekern bietet nicht nur Raum für die vertikale Erschließung und dient dem vertikalen Lastabtrag, sondern übernimmt auch die horizontale Aussteifung. Im Bereich der Erdgeschossdecke geht das Verbundtragwerk über in die wasserundurchlässige Stahl-/ Spannbetonkonstruktion der unterirdischen Sonderausstellungsflächen und Technikräume. Lasten werden dort über die lokal verstärkte, elastisch gebettete Bodenplatte in den Baugrund eingeleitet.
Aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Altneckar-Ufer liegt das Untergeschoss komplett im Grundwasser. Es war daher vor allem in den über den oberirdischen Perimeter hinausragenden bzw. gering auflastenden Bereichen mit Zugankern gegen Auftrieb zu sichern.
Planung und Berechnung
Aufgrund der geometrischen Komplexität erfolgte die Tragwerksentwicklung in einem 3D-Modell, das sich parametrisch modellieren, berechnen, materialisieren, optimieren und schließlich in eine BIM-Planung integrieren ließ. Alle Hauptgewerke wurden digital erfasst, für Entscheidungsfindungen visualisiert, auf Kollisionen geprüft, für den Herstellungsprozess dreidimensional aufbereitet und als zweidimensionale Planunterlagen abgeleitet. Schon frühzeitig fiel die Entscheidung, das komplette Tragwerk – also den Ortbeton-Kellerkasten und das Stahlverbund-Bauwerk – aus dem 3D-Gesamtmodell in ein Finite-Elemente-Modell mit allen tragenden Bauteilen und Exzentrizitäten zu überführen. Ziel war es, mithilfe möglichst genauer Steifigkeitsverteilungen einerseits die globalen Standsicherheitsnachweise wie zum Beispiel Auftriebssicherung und Gründung wirtschaftlich durchzuführen. Andererseits sollten so alle lokalen Stabelemente im Gesamtsystem bemessen werden.
Die in der Vorplanung noch vornehmlich geometrischen Optimierungsschleifen wurden in der Entwurfsplanung durch Grenzbetrachtungen des Tragverhaltens und der Wirtschaftlichkeit ersetzt. So waren weniger die Traglastgrenzen für die Festlegung der Querschnitte maßgebend als vielmehr das Verformungsverhalten der großflächigen Glasfassaden und die Modularisierung bestimmter Stabgruppen mit einheitlichen Blechstärken.
Neben den statischen Berechnungen und Nachweisen am Gesamtmodell konnte aufgrund der sehr genauen und umfassenden Modellierung des gesamten Tragwerks auch das dynamische Verhalten analysiert und ausgewertet werden. Mithilfe von Eigenfrequenzermittlungen und aktivierten Massen war es möglich, die vorhandene Steifigkeit zu beurteilen. Zugleich ließ sich dadurch ausschließen, dass das Gebäude durch innere oder äußere Lasten angeregt werden kann. Dies war nicht zuletzt deshalb wichtig, weil auf dem Dach eine Sternwarte mit schwingungsempfindlichem Teleskop installiert werden sollte.
Konstruktion und Details
Bei der Entwicklung der Knoten- und Verbindungsdetails waren sowohl die komplexen geometrischen Verschneidungen und Versprünge als auch eine möglichst einfache, kalkulierbare Montage zu berücksichtigen. Werkseitige Vorfertigungen kompletter Fachwerkwände schieden aufgrund der nicht transportierbaren Bauhöhe aus. Also wurde durch die Detaillierung von Anschlüssen eine Baukastensystematik entwickelt, bei der Gurte, Stützen, Diagonalen und Träger vorgefertigt und zügig mit hoher Passgenauigkeit und Toleranzausgleich, aber zwängungsfrei zusammengesetzt werden konnten.
Prinzipiell waren alle Lasten der horizontalen Flächen in den Randgurten linienförmig zu sammeln und in vertikale Stäbe, die tragenden Innenkerne der Hauptstützen, zu überführen. Dieses Knotendetail (Abb. C, D) ist in vielfacher Last-, Geometrie- und Querschnittsvariation zur Ausführung gekommen und dahingehend in 28 verschiedenen Leitdetail-Gruppen kategorisiert worden.
Die Anschlüsse der vielen V-Fachwerk-Diagonalstäbe an die Gurte wurde mit biegesteifen Schraubverbindungen (Abb. A), die der Gurte an die Stützen mit gelenkigen Laschen-/ Bolzenverbindungen umgesetzt. Nur in wenigen Sonderfällen mussten hochbelastete Diagonalen, die steil geneigt an Stützen anzuschließen waren, in den Verschneidungsbereichen auf der Baustelle angeschweißt werden.
Die auskragenden Wandträger basieren auf der Bauhöhe der Ober- und Untergurte der Fachwerkbinder. Bedingt durch die entsprechenden Aufbauhöhen der Außenecken mit Wärmedämmung und Abdichtung bei gleichbleibenden Decken- und Bodenkanten mussten die Gurte der auskragenden Fachwerkwände mit wesentlich geringerer Trägerhöhe ausgeführt werden und entsprechend verspringen können. Hierfür wurde ein 900 mm starkes Deckenpaket gewählt, in dem die Gurte als Hohlkästen mit Abmessungen von 400 ≈ 500 ≈ 20 mm eingebettet sind. Die Deckenkonstruktion ist mit 490 bis 500 mm hohen Stahlträgern und 200 mm starker Stahlbetondeckenplatte insgesamt rund 700 mm stark. Die mit Kammerbeton oder Brandschutzverkleidung ausgeführten Stahlträger erfüllen F 90-Anforderungen. Die Decken wurden massiv als Ortbetonplatte auf verlorener Verbundblechschalung hergestellt und mit Bauteilaktivierung versehen. Da alle Horizontalkräfte über die Scheibentragwirkung der Decke in den aussteifenden Kern einzuleiten waren, verlaufen Bewehrung und Verbundträger sinnvollerweise orthogonal zum Kern.
Montage
Der zentrale Stahlbetonkern wurde durch eine Kletterschalung vorgezogen. Für die Anschlüsse der Deckenträger kamen eingelegte Einbauteile zum Einsatz. Die Betondecken sind über Schraubmuffen und Rückbiegeanschlüsse montiert. Die geschosshohe Stahlverbundkonstruktion ließ sich mit Einzelbauteilen auf der Baustelle wie folgt zusammensetzen: Erst wurden die Diagonalen, dann die Gurte und Randträger errichtet, um die Deckenträger einhängen und Holorib-Bleche auflegen zu können. Auf das Einlegen der Bewehrungslagen und Kühlschlaufen folgte das Betonieren der Deckenplatte. Um unabhängig und durchgängig den Stahlbau montieren und gleichzeitig die Betonarbeiten ausführen zu können, wurden die Decken halbseitig alternierend hergestellt. Für die seitliche und vertikale Stabilisierung der Fachwerke waren im Bauzustand Abstrebungen und Unterrüstungen erforderlich, die mit wachsendem Baufortschritt und Erlangung des Kraftschlusses entfernt werden konnten. Toleranzen bei der Montage wurden durch spezielle Futterplattenstöße und Aufreiben von Bohrlöchern korrigiert, sodass die global geforderte Genauigkeit von ± 20 mm im Sinne eines präzise gefügten Gebäudes überall eingehalten wurde.