Text von Prof. Dr.-Ing. Martin Speth
Aufgabenstellung und Wettbewerb
Die Dalkepromenade in Gütersloh bildet als Fuß- und Radwegeverbindung entlang der Dalke eine wichtige Verbindung zwischen dem historischen Stadtkern und dem westlich an die Stadt angrenzenden Landschaftsraum. Durch die Sperrung und den Abriss der 2018 als nicht mehr sanierungsfähig eingestuften Fußgängerbrücke über die Bundesstraße 61 wurde diese Wegeverbindung kurzfristig unterbrochen. Der anschließend ausgeschriebene Wettbewerb zur Entwicklung eines Ersatzneubaus bot nicht nur die Chance eine barrierefreie Verbindung in Form eines innovativen Stahl-Tragwerks von West nach Ost zu schaffen, sondern auch den Anschluss an die Wegeführung zu überdenken und den umliegenden Landschaftsraum neu zu gestalten.
Während die Wegeführung der alten Brücke im Nordwesten startete, die Dalke und anschließend die B61 überquerte und zum Schluss erneut die Dalke überquerte, sodass ihr Endpunkt im Osten nördlich der Dalke lag, wurde für den Neubau im Zuge des Wettbewerbs entschieden im Osten südlich der Dalke zu enden, um den anliegenden öffentlichen Raum anzubinden und als Freizeit-Areal nutzen zu können. In diesem Zusammenhang wurde abweichend von den Anforderungen der Wettbewerbsausschreibung eine weitere, deutlich kürzere Brücke im Osten geplant, die die Dalke erneut quert und die Anbindung an die bestehende Wegeführung im Nordosten herstellt.
Konzept und Formgebung
Zur Entwicklung einer möglichst schlanken Lösung für das Tragwerk wurde der Ansatz gewählt alle Elemente der Brücke tragend auszubilden: Vom Überbau bis hin zum notwendigen Geländer sind alle Bauteile integraler Bestandteil des Primärtragwerks. Dem Prinzip „Alles trägt, aber nichts trägt nur“ getreu übernimmt das Tragwerk aber nicht nur die Aufgabe des Tragens, sondern gleichermaßen die Gestaltung sowie die Gewährleistung der Funktionalität der Brücke.
Als Durchlaufsystem über insgesamt neun Felder mit Spannweiten von 14,55 m bis 30,00 m und im Grundriss gekrümmter Form besitzt die Brücke eine Gesamtlänge von 200,70 m. Der Querschnitt ist als Trogquerschnitt mit einer Gesamthöhe von 1,57 m ausgeführt, bei dem die absturzsichernden Geländer die Stege bilden. Ein torsionssteifer Hohlkasten mit einer Höhe von 20 cm bildet als Untergurt des Trogquerschnitts zugleich die Gehwegplatte.
Die im Zuge der geänderten Wegeführung im Osten vorgeschlagene kurze Brücke wurde nach dem gleichen Prinzip entwickelt und besitzt bei einer Spannweite von 17,0 m einen parallelogrammförmigen Grundriss.
Die Formgebung der Geländer sollte unter statischen wie auch unter gestalterischen Gesichtspunkten gleichermaßen wichtig sein. Um Transparenz zu schaffen sowie zur Material- und damit auch Gewichtsersparnis wurde der Ansatz gewählt, anstelle eines massiven Stegbleches ein mit Öffnungen durchsetztes Geländer zu entwickeln.
Das Lineament der Geländerstruktur folgt den Trajektorien des Durchlaufträgers. Es wird von Bogen- und Seillinien gebildet, deren Anordnung in einem parametrischen Entwurfsprozess festgelegt wurde. Dabei wird die Grundfigur jeweils feldweise durch einen „stehenden“ Bogen und ein „hängendes“ Seil gebildet. Diese Grundfigur entspricht im Idealfall gleichmäßig verteilter Lasten den überlagerten Prinzipien einer Stabbogenbrücke und einer Hängebrücke. Weitere Strukturlinien wurden durch Phasenverschiebung der Hängelinien so entwickelt, dass sich im Bereich der Stützpunkte dem Beanspruchungsgrad entsprechende Verdichtungen ergeben.
Die Geländerpfosten mit einem lichten Abstand von 12 cm bilden zusammen mit dem oberen und unteren Abschluss des Geländers die für die Funktion der Absturzsicherung notwendigen Bestandteile. Gleichzeitig dienen sie zur Aufnahme von Umlenkkräften des im Grundriss gekrümmten Trägersystems sowie zur kontinuierlichen Bettung der Bogen- und Seillinien, sodass die Knicklänge der extrem schlanken Druckgurte effektiv begrenzt wird. Durch die effiziente Materialausnutzung können die Geländer mit Stärken von nur 40 mm im Regelbereich und 50 mm im Bereich des längsten Feldes über die Bundesstraße realisiert werden.
Materialität und Korrosionsschutz
Aufgrund der zahlreichen Öffnungen im Geländer besitzt das Tragwerk eine insgesamt überdimensional große Oberfläche, über die der ungeschützte Stahl der Witterung frei ausgesetzt ist. Bei Verwendung eines Beschichtungssystems als Korrosionsschutz wäre dies mit hohem Aufwand beim Erstanstrich sowie bei der regelmäßigen Wartung und Instandhaltung verbunden. Stattdessen wurde sich bei der Brücke für die Verwendung von wetterfestem Stahl entschieden. Der statische Nachweis wurde unter Berücksichtigung einer Abrostungsrate für eine Lebensdauer von 100 Jahren bemessen.
Herstellung
Die Brüstungen wurden im autogenen Brennschneidverfahren aus Grobblech mit Elementlängen von bis zu 12 m gefertigt. Zur Vermeidung von Staunässe auf den Schnittflächen wurde der Brennschnitt mit einer Einstellung von 5o Lotabweichung so durchgeführt, dass das Wasser nach außen ablaufen kann. Die herausgeschnittenen Stücke wurden als Schrottwert wieder in den Kreislauf der Stahlerzeugung zurückgeführt. Die Brüstungselemente wurden anschließend zu größeren Segmenten verschweißt und der Situation entsprechend gebogen. Die Gehwegplatte wurde aus Deckblechen, Quer- und Längssteifen gefertigt und mit den Brüstungen verschweißt. Insgesamt wurden neun Brückenelemente mit bis zu 45 m Länge im Werk vorgefertigt, auf die Baustelle gebracht und eingehoben bevor sie dort zu einem monolithischen Durchlaufsystem verschweißt wurden.
Lagerkonzept und Temperaturdehnungen
Die etwa 200 m lange Brücke ist im Sommer und Winter starken Temperaturschwankungen ausgesetzt. Aufgrund der monolithischen Bauweise der Stahlkonstruktion können dabei große Kräfte entstehen, wenn die freie Dehnung behindert ist. Aus diesem Grund wurde ein Lagerkonzept entwickelt, bei dem Führungslager strahlenförmig zu einem fiktiven Fixpunkt in der Mitte der Brücke ausgerichtet werden. Die Lager über den Stützen, welche dem Fixpunkt am nächsten sind, sind als Festlager ausgebildet. Die hier auftretenden Zwangsspannungen aus der Temperaturdehnung wirken sich aufgrund der Nachgiebigkeit der Pfeiler und Gründung nicht gravierend aus. An den Brückenenden können die auftretenden Verschiebungen durch Übergangskonstruktionen in Form von Schleppblechen aufgenommen werden.
Laudatio der Jury
Die Dalkebrücke in Gütersloh beeindruckt durch ihre ausgewogene Kombination aus intelligentem Engineering, effizienter Materialnutzung, niedrigem Instandhaltungsaufwand und ansprechendem Design. Diese Fuß- und Radwegebrücke erweitert das städtische Netz und trägt durch ihr einladendes Design sowie ihre Benutzerfreundlichkeit wesentlich zur Verkehrswende bei.
Technisch überzeugt der Steg durch den cleveren Einsatz von Materialien. Das Tragwerk kann als klassischer Durchlaufträger mit Trogquerschnitt gesehen werden. Wo jedoch gewöhnlich opake Stegbleche mit angeschweißten, flachen Obergurten das Bild dominieren, kommen hier 40mm starke Bleche zum Einsatz, aus denen das gesamte Geländer mitsamt der Gurte geschnitten wurde. Der Zuschnitt erlaubt ein hohes Maß an Transparenz und eine optimierte Materialausnutzung, die sich in einem feinen Muster aus vertikalen Streifen manifestiert. Das vertikale Pfostenmuster wird mit einem horizontalen Band an spielerisch undulierenden Kurven überlagert, deren Verlauf den Kraftfluss im Bauwerk für die Nutzenden anschaulich abbildet. Die Materialstärke und die Krümmung der Geländerplatten sorgen für ausreichende Knickaussteifung, sodass zusätzliche Verstärkungen der Obergurte nicht notwendig sind. Dabei ist es bemerkenswert, dass die Stabilitätsnachweise mit dieser neuartigen Form entsprechend geführt wurden.
Die Haupttragelemente kommen ohne Verbindungsmittel wie Schrauben oder Schweißen aus, was zu einem minimalistischen, aufgeräumten und eleganten Ergebnis führt. Der Einsatz von wetterfestem Stahl und der Verzicht auf Korrosionsschutz unterstreichen den minimalistischen Ansatz der Konstruktion.
Architektonisch besticht die Brücke durch die konsequente Kombination von Tragwerk, Funktion und Ornament, wodurch ein attraktives, selbstbewusstes und dauerhaftes Infrastrukturbauwerk mit hohem Wiedererkennungswert entsteht.