Text von Reiter Hahne-Architekten + Ingenieure

Aufstrebend

Der Anbau zusätzlicher Zimmer am Haus der Jugend, Passau erforderte einen zweiten Flucht- und Rettungsweg. Er sollte schlüssig an den Bestand anknüpfen, sich optisch und topographisch in die Landschaft fügen. Überzeugend schufen Reiter – Hahne Architekten + Ingenieure aus dieser überschaubaren Bauaufgabe eine neue Landmarke für die Region: Mäanderförmig windet sich die Cortenstahlbrüstung des neuen Treppenturms über drei Geschosse nach oben, sie scheint lose am vertikalen Sichtbetonriegel zu hängen.
Das Haus der Jugend ist eine Einrichtung des Bischöflichen Jugendamtes der Diözese Passau. Es wurde 1958 erstellt und grenzt an die mittelalterliche Burganlage Veste Oberhaus, hoch über den Dächern Passaus. Diverse Sanierungsarbeiten wurden in den letzten Jahrzehnten durchgeführt, der letzte Bauabschnitt im Februar 2019 abgeschlossen: Neben allgemeinen Modernisierungsarbeiten wurde ein Trakt mit zusätzlichen Zimmern erstellt. Bereits davor war die Fluchtwegsituation im Bestand nicht optimal gestaltet. Im Zusammenhang mit dem Anbau wurde eine Lösung erarbeitet, die aktuelle Anforderungen erfüllt.

Bauliche Anforderungen vereint in charakteristischem Treppenturm

Neben den baurechtlichen Auflagen lag den Planern eine stimmige Integration dieses zweiten baulichen Fluchtwegs am Herzen. Keine einfache Aufgabe, da sich das Areal aus zahlreichen Gebäuden mit unterschiedlichen Funktionen und Gestaltungsmerkmalen zusammensetzt: Längs zur Straße orientiert sich die ehemalige Turnhalle, die nun als Mehrzweckhalle genutzt wird, daneben der ältere Zimmertrakt, zentral angeordnet der große Gemeinschaftsbereich mit Speisenausgabe sowie Ess- und Kommunikationszone. An dieses Bereich wurden 2017 zwei Gruppenräume und ein Lift angebaut, dem auch eine sichere Fluchtroute für den Brandfall zugeordnet werden sollte. Was die einzelnen Gebäudeteile unter schiedlicher Kubatur und Proportion am Areal vereint, sind die schlichten, weiß gestrichen Lochfassaden – eine Harmonie, die die Planer mit einem weiteren Anbau nicht stören wollten. 2018 wurden sechs zusätzliche, barrierefreie Gästezimmer aufgestockt und der neue Fluchttreppenturm umgesetzt.

Sensible doch selbstbewusste Integration

So reduziert wie möglich, jedoch bewusst als neues Element im architektonischen Gefüge sollte das neue Fluchttreppenhaus an den Bestand angeschlossen werden. Als Lösung führt pro Geschoss ein schlichter Metallsteg zum Fluchtturm ins Freie. Elegant distanzieren diese „Brücken“ zwischen Alt und Neu, zwischen Innen und Außen, zwischen Warm und Kalt. Das Abrücken vom Bestand ermöglichte auch, den Weg um das Gebäude zu erhalten. Optische sowie statische Begrenzungen aus Stahlbeton bieten Massivität: Die beiden durchlaufenden, 12 m hohen Sichtbetonscheiben rechts und links neben dem Fluchtpodest prägen den Treppenturm und unterstreichen seine Vertikalität. Zudem bilden sie spannenden Kontrast zum angrenzenden Treppenlauf aus Baustahl: Mäanderförmig windet sich die geschlossene Stahlbrüstung der zweiläufigen Treppe nach oben, die Stufen sind aus durchlässigem, rutschhemmendem Gitterrosten ausgebildet.

Meisterstück

Die skulpturalen Treppenläufe wurden geschossweise im Werk gefertigt, an die Baustelle geliefert und vor Ort frei auskragend an die Betonscheiben montiert. Wichtig war den Planern, die Ehrlichkeit zum Material zu bewahren: authentisch gerostet und doch äußerst witterungsbeständig wurden die Platten aus 12mm starkem Baustahl zu Brüstungen verarbeitet. Zusammengehalten werden sie von Querstreben und Setzstufen, die zu Auflagern der eingelegten Gitterroststufen wurden. Eine gigantische, scheinbar schwebende Kassettendecke aus Stahlblechstegen mit verschweißtem Stahlblech darüber schützt vor Witterungseinflüssen. Das Bauwerk betont Ausblicke in die Landschaft und wird durch seine skulpturale Erscheinung selbst zum Blickfang.