Erläuterungsbericht von Leah Stockburger zur Einreichung beim Förderpreis des Deutschen Stahlbaus 2020

Der Mülheimer Hafen als neues Kultur Zentrum

Ende des 18. Jahrhunderts wurde in Köln-Mülheim Industriegeschichte geschrieben. Das Gelände, auf dem einst Menschen Motoren, Maschinen und Industrieanlagen fertigten, ist heute ein kreativer Hotspot.

In den nächsten zehn Jahren entsteht in industriegeschichtlicher Lage ein neuer gemischter Stadtteil in Köln. Der Mülheimer Hafen am Rhein bietet hervorragende Chancen für ein neues, lebendiges Stadtquartier, in gesamtstädtisch zentraler Lage, mit neuer Wohnbebauung und Umnutzung. Doch alte industrielle Spuren des geschichtsträchtigen Ortes werden verwischt und Bestand abgerissen. Gerade ein völlig neues Stadtquartier braucht kulturelle Ankerpunkte in der gemischten Nutzung, die auch Identität stiften können. Kulturelle Nutzungen wie ein neues Zentrum für Hafen- und Industriekultur können den Ort als neuen repräsentativen Freizeit Hafen bereichern und Erinnerungskultur schaffen. Durch das Wassertaxi „Mülheimer Bötchen“ ist der Hafen sogar vom Stadtzentrum aus über den Wasserweg erreichbar.

Das neue Zentrum auf der Halbinsel soll sowohl ein Museum mit öffentlichen Ausstellungen, als auch eine Verwaltungseinheit des örtlichen Hafenamts, mit Aufsichtsboot Anleger im westlichen Hafenbecken, beinhalten. Es soll neben dem Amt und Museum auch Veranstaltungsräume, Gastronomie und Bootsanleger bieten. Der Mülheimer Hafen ist außerdem ein wichtiger Schutzhafen, den die Schifffahrt bei Hochwasser anlaufen kann. Im Eingangsbereich des Hafens befinden sich außerdem Tankerliegeplätze. Um diese gewerbliche Nutzung auf der einen, und die öffentliche Nutzung auf der anderen Seite zu ermöglichen, wurde das Gebäude auch thematisch in 2 Riegel unterteilt. Die Erdgeschosszone nimmt die öffentlicheren Nutzungen auf (Verein Industriekultur NRW, Seminarräume TH Köln Maschinenbau, Experimentierwerkstatt, Veranstaltungssaal, Verwaltung Wasser- und Schifffahrtsamt, Museumsverwaltung, Restaurant/ Café). Die Obergeschosse bieten die flexiblen Ausstellungsflächen des Museums.

Der Entwurf stellt so sowohl inhaltlich als auch funktional einen starken Bezug zu dem ehemals industriell genutzten Standort her. Die harte Wasserkante mit Stahlspundwänden und Anlegern zum gewerblichen Hafenbecken signalisiert auch nach Außen eine funktionalere Nutzung als die andere begrünte Fläche des bunten Freizeithafens.

Aus der Planung

Städtebauliche Einbindung

Städtebaulich soll das Museum auf der zentralen Halbinsel von der Mülheimer Wasserseite aus auch als Landmarke und Erinnerungsort im neuen Freizeithafen gut sichtbar sein. Der Riegel fasst den Hafen ein und bietet ein bauliches Gegenüber zur Gebäudekante des neuen Quartiers. Der Aussichtsturm könnte das Kölner Hochhauskonzept erweitern.
Um die Halbinsel zu Fuß erreichen zu können erfolgt die Erschließung über einen Steg, der den Zugang und somit die Nutzung des Museums auch bei Hochwasser möglich machen würde. Der Mülheimer Hafen liegt offiziell im Überflutungsgebiet des Rheins. Der Steg und eine, das Gebäude umschließende, Plattform verbinden das Festland mit der Halbinsel. Das Bauen und Gründen am Wasser und der konstruktive Hochwasserschutz durch ein Podest, war somit eines der entscheidenden Themen im Entwurfsprozess.

Architektonisches Konzept Inszenierung der Logistik

Der Ort und seine industriehistorische Vergangenheit haben das Entwurfskonzept entscheidend geprägt. Der Mülleimer Hafen war immer ein stark von Waren frequentierter Umschlagplatz. Die Logistik spielt in dem Entwurf eine zentrale Rolle. Für Wander- oder Sonderausstellungen können neue Exponate über den Landweg per Lkw angeliefert werden. Dafür ist eine Lkw Einfahrt in den Sockel eingelassen, sodass das Fahrzeug ohne Höhenunterschiede in das Gebäude fahren kann. Der Laufkran im Atrium kann die Exponate auf die verschiebbaren Brücken befördern. Das Atrium ist sowohl logistische Hauptachse in der Vertikalen und Horizontalen als auch für die Belichtung des insgesamt 32 m tiefen Gebäudes wichtig. Außerdem ist die Anlieferung auch über den Wasserweg möglich. Dafür fährt der Laufkran auf der Bahn, neben dem Aussichtsturm, aus dem Gebäude heraus und kann z.B. Boote aus dem Wasser befördern.
Die logistische Bewegung von Materialien und Waren, bzw. von Menschen und Exponaten wird im gesamten Museum inszeniert. Auch der Besucher wird schon bei der Erschließung des Gebäudes zu Fuß über das Förderband, den langen Steg, langsam an die Museums Maschine herangeführt. Dabei führt der Steg entlang der Hellinganlage im Ostbecken, auf der das historische Ratsschiff der Stadt Köln, als Exponat im Außenraum, zu bestaunen ist. Der Ort stellt sich so auch selbst aus. Innerhalb der Ausstellung im Obergeschoss führt die Besucherdurchwegung auch immer wieder abwechselnd über eine der Brücken im Atrium und schafft so Orientierung innerhalb des Gebäudes. Als Referenz diente unter Anderem die Autogarage in Paris, von Auguste Gustave Perret aus dem Jahre 1905. Der Ausstellungsturm im Außenraum und das Restaurant sind auch unabhängig von den Öffnungszeiten des Museums über den Steg und die öffentliche Plattform nutzbar. So soll es gewährleistet werden, dass sich der Mülheimer Hafen zu einem hoch frequentierten Freizeithafen entwickeln kann.

Funktionale Aspekte und Nutzungsflexibilität

Nutzungsflexibilität der Ausstellung: Da das Museum auch Wander- und Sonderausstellungen aufnehmen können soll wurde besonders auf die Flexibilität der Ausstellungsdurchwegung des Besuchers geachtet. Die verschiebbaren Stahlbrücken können frei auf der jeweiligen Geschossebene angeordnet werden. Es ist also auch möglich sie zu einer großen Plattform zusammenzuschalten und so entweder ein sehr großes Exponat auszustellen, aufzuhängen, oder die Gebäuderiegel in ihrer Fläche zu erweitern.
Nutzungsflexibilität in der Lebenszyklusplanung des Gebäudes: Das Zentrum für Hafen- und Industriekultur nimmt neben der Nutzung als Ausstellungs- und Versammlungsort auch das örtliche Hafenamt auf. Durch die hohe Grundrissflexibilität und einfache Struktur ist das Museums auch umnutzbar. Durch das Hinzufügen von Innenwänden oder Zwischenebenen wäre z.B. auch eine gewerbliche Büronutzung denkbar. Der Entwurf bietet ein bauliches Grundgerüst mit Ausbaupotenzial. Der Erdgeschossebene wurde bereits, durch die höheren klimatischen Anforderungen der Innenräume, eine Innenfassade und eine 2-schalige Fassade hinzugefügt.

Konstruktion

In der Ausstellung sollen unter Anderem auch Schiffe und Maschinen ausgestellt werden. Für Sonder- oder Wanderausstellungen soll eine hohe Flexibilität und Varianz gewährleistet werden. Exponate sollen sowohl im Atrium (am Kran hängend, auf Bodenplatte oder Brücken stehend), als auch auf den Geschossebenen ausgestellt werden. Dadurch ergeben sich erhöhte statische Anforderungen an die Dimensionierung des Tragwerks. Deshalb wurden Stockwerkrahmen aus Stahl gewählt. Die Stahlbetonkerne und Hohlplattendecken dienen zusätzlich der Aussteifung. Das Erdgeschoss erhält aufgrund der Nutzung und der höheren klimatischen Ansprüche des Innenraums eine zwei-schalige Fassade und eine Innenfassade zum Atrium. Dagegen bleiben die Obergeschosse roh. Der Pfosten-Riegel-Fassade werden transluzente Glasbaustein-Elemente vorgehangen. Das Fassadenelement besteht aus einem Stahlrahmen, gedämmten Glasbausteinen (U=1.1 W/m2 K) und Bewehrung.

Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz

Auch wenn sich die Gestaltung der Prinzipien der historischen, funktionalen Industriearchitektur zu Zeiten der Industrialisierung bedient (wie großräumige Belichtung und geringe klimatische Anforderungen an die Innenräume), gewinnt gerade heute und in Zukunft, im Hinblick auf Rezykliergerechtigkeit der Bauteile und des Materials, das Einfache Bauen, die Elementierung und Vorfertigung und das einfache Fügen von Bauteilen (z.B. von Standard-Profilen) zu einem Komplex, wieder mehr an Bedeutung.

Laudatio der Jury

Der Entwurf für ein Zentrum für Hafen- und Industriekultur steht auf einer Halbinsel im Hafen von Köln Mülheim im Überflutungsgebiet des Rheins. Unter diesen schwierigen Randbedingungen werden verschiedene Stahlkonstruktionen optimal genutzt, um ein wirklich herausragendes Industriemuseum zu realisieren. Über schlanke Stahlstege erreicht man das Gebäude auch bei Hochwasser, das Podest für das Gebäude wird durch einen Spundwandkasten gesichert, und der filigrane Aussichtsturm ermöglicht den Blick über den Rhein. Das durchgehende, verglaste Atrium im Gebäude ist die „logistische Hauptachse“: neben dem Laufkran gibt es verschiebbare Brücken für die Besucher, die je nach Ausstellung variable Erschließungen ermöglichen. Auf zwölf baugleichen Stahlrahmen werden im regelmäßigen Raster Spannbetonhohlplatten aufgelegt und vorgefertigte Fassadenelemente aus Glasbausteinen verkleiden die Pfosten-Riegel-Fassade. Tragwerk und Fassade sind denkbar einfach und für eine Wiederverwendung geeignet. Der Werkstoff Stahl wird optimal eingesetzt. Ein sehr gut gelungener Beitrag zu funktionaler Industriearchitektur und gleichzeitig ein faszinierendes Ausstellungsgebäude, mit dem das gesteckte Entwurfsziel, einen kulturellen, identitätsstiftenden Ankerpunkt in diesem Hafen zu schaffen, beeindruckend umgesetzt wurde.