Dichter Wohnungsbau in München

Förderpreis des Deutschen Stahlbaues 2020
Lob
Erläuterungsbericht von Marie Gnesda, Maximilian Loeschke, Sofia Weidner und Theresa Zöllner zur Einreichung beim Förderpreis des Deutschen Stahlbaues 2020
Dichtes Wohnen in München
Insbesondere der akut ausgelastete Münchner Wohnungsmarkt fordert von Architekten ein
großes Engagement verdichtetes Bauen weiter zu durchdenken. Um zukunftsträchtig zu
entwerfen, ist es erforderlich, das angemessene Maß an „Wohn-Dichte“ und geeignete
Methoden zur Umsetzung zu ermitteln.
Um die Flächennutzung auf innovative Weise zu optimieren, eignet sich unter anderem der
Skelettbau. Präzise Vorfertigung, beschleunigte Bauabläufe und eine nachhaltige
Ressourcen-Nutzung stehen für den effizienten Wohnungsbau der Zukunft.
Stahl, ein Baustoff, welcher zudem neue gestalterische Möglichkeiten im städtischen
Kontext bietet, überzeugt in Zusammenhang mit diesen Zielen und Anforderungen.
Foto: Gnesda | Loeschke | Weidner | Zöllner
Im Rahmen des Semesterprojekts „DICHT” entsteht der Entwurf eines Bebauungsmodells
für die Wohnsiedlungen der Zukunft. Der dichte Wohnungsbau-Prototyp soll
verschiedenste soziale Gruppen berücksichtigen und dabei ästhetischem Anspruch nicht
entgegenstehen. Im städtischen Umfeld eingebunden, befindet sich das zu planende
Gebäude in einer urbanen Baulücke in München, welche eine Tiefe von 18 m aufweist und
in ihrer Breite nicht definiert ist. Thematisch beschäftigt sich die Aufgabe des Lehrstuhls für
Baukonstruktion und Baustoffkunde neben dem Verständnis von Wohnen als zentralem
Gesichtspunkt des Stadtlebens auch mit der Ausarbeitung einer logischen Bauteilfügung
und systematischen Lastableitung. Eine entwurfsabhängige Tragstruktur aus Stahl prägt
den Bau und reagiert mit einem unkonventionellen Ansatz auf die aktuelle
Wohnungssituation.
Entwurfskonzept
Vor diesem Hintergrund entsteht der Entwurf eines baubaren Prototyps, welchen drei
Einschnitte in das Gebäudevolumen prägen. Die zwei Lichthöfe und eine außenliegende
vertikale Erschließung, sind maßgeblich für die besondere Tektonik des Bauwerks.
Durch diese Einschnitte entsteht trotz hoher Dichte eine besondere Wohnatmosphäre und
ausreichend Belichtung für die tiefen Grundrisse.
Die Verbindung zwischen den einzelnen Wohneinheiten und der Außentreppe erfolgt
über Gitterrostterrassen, welche das Gebäude in Richtung Hof öffnen und
gemeinschaftliche Treffpunkte schaffen.
Erschließung und Raumprogramm
Charakteristisch für das Gebäude ist die effiziente Strukturierung der Grundrisse.
Die Wohnungen eint die Positionierung aller Individualräume in Richtung Osten, ein
Nebennutzungskern in mittiger Achse und offene Wohnräume auf der Hofseite. Durch
immer gleiche Schlafräume und Sanitärkerne ergibt sich eine übersichtliche
Grundrissstruktur und ein einfaches auf vier Schächten basierendes haustechnisches
Konzept.
Foto: Gnesda | Loeschke | Weidner | Zöllner
Diese Zonierungen von privaten zu gemeinschaftlichen und von dichten zu weitläufigen
Räumen bilden das Grundkonzept der Wohneinheiten.
Da alle Wohnungen durchgesteckt sind, ergibt sich automatisch ein klares
Entfluchtungkonzept für das Gebäude durch das Anlietern von der Straßenseite.
Die Besonderheit stellen nun die offenen Wohnflächen dar, welche in den Eckwohnungen
Blickbezüge über die Lichthöfe aufweisen und allgemein Freiflächen auf den
Gitterrostterrassen bieten.
Durch die Ausbildung der Tragstruktur als Skelettbau ergeben sich geringe
Konstruktionsflächen und ausschließlich nichttragende Innenwände, wodurch innerhalb der
dreißig Wohneinheiten elf verschiedene Wohnungstypen von 27 bis 138 qm Wohnfläche
entstehen.
Diese unterschiedlichen Wohnungsgrößen tragen wesentlich zur sozialen Durchmischung
innerhalb des Gebäudes bei und nehmen Bezug auf den aktuellen Wohnungsmarkt in
München.
Im Erdgeschoss des Gebäudes entstehen eine Kita mit zwei Betreuungsgruppen und eine
Kreativwerkstatt, welche das Stadtviertel beleben sollen und einen kommunikativen
Treffpunkt bilden.
Der Innenhof bietet Freiflächen für einen Ausgleich zur städtischen Unruhe, begegnet den
Bedürfnissen der Nutzer der Kreativwerkstatt und der Kita. Mit Bezug auf die Lichthöfe in
den Gebäudeeinschnitten und die leichte Terrassenkonstruktion in den Obergeschossen
entsteht ein Gefüge, welches das Wohnen zur Hofseite orientiert. Da es im Allgemeinen in
der Münchner Innenstadt an Grünflächen mangelt, sollen die offenen Terrassen individuell
bewachsene Grünbereiche für Anwohner bieten und das Gleichgewicht aus nachbarlicher
Interaktion und Privatheit schaffen.
Tragwerk
Das Raumgefühl der Wohnungen wird insbesondere durch die, im Inneren wahrnehmbare
Stahlkonstruktion geprägt. Die Lichthöfe, um welche die Wohnungen angeordnet sind,
werden durch diagonale Gebäudeaussteifungen umrahmt und so zum zentralen
Entwurfselement. Zusammen mit dem Tragwerkssystem aus HEB-240-Stützen und
Unterzügen wird eine Aussteifung in Quer-und Längsrichtung erzeugt. Die steife
Deckenscheibe wird aus Betonfertigteilen erzeugt, die über Kopfbolzendübel mit den
Unterzügen vergossen werden. Durch das bewusste Freilegen der Konstruktion entsteht
ein leichtes und offenes Raumgefühl und eine nachvollziehbare Statik.
Neben der exzellenten Recyclingfähigkeit des Baustoffes Stahl eignet er sich besonders
durch den hohen Grad an Vorfertigung für eine Baustelle im Stadtzentrum. Die schnelle
Abwicklung von Bauabläufen bringt wesentliche logistische und ökonomische Vorteile mit
sich. Das konstruktive 2-1-2-1-2 Raster macht den Aufbau einfach und gliedert sowohl die
Grundrissstruktur, als auch die Fassadengestaltung des Gebäudes.
Fassade und Außentragwerk
Das Stahltragwerk ergänzt sich im Außenraum durch angehängte U-Profile.
Die U-Profile, welche auf der Hofseite als Kragarme zudem die Terrassenkonstruktion
tragen, gliedern die Fassade horizontal. Das entworfene Deckenranddetail zieht sich über
die gesamte Gebäudehülle und gewährleistet den Wärmeschutz.
Das konstruktive 2-1-2-1-2 Raster wird in der Fassade auch vertikal durch die Anordnung
der rechteckigen Regenrohre wiederaufgenommen. Falt-Schiebe-Läden aus Streckmetall
stärken die aufteilende Wirkung, dienen individuell anpassbar als Sonnenschutz und
beleben somit die Fassade. Neben ihrer gliedernden Wirkung sind sie gleichzeitig die
auflockernden Elemente, die die klare Erscheinung des Bauwerks von Starrheit befreien.
Die Terrassen auf der zum Hof gewandten Seite fungieren nicht nur als außenliegende
Erschließungs-Stege, sondern auch als private Außenbereiche.
Auf der Hofseite sind an die auskragenden U-Profile IPE 100 Nebenträger angeschlossen
auf welchen das Gitterrost liegt. Es ergeben sich stützenfreie Terrassen.
Kleinere Einzelbauteile wie auch die Pfosten der Absturzsicherung sind konsequent in UProfilen
ausgeführt und spiegeln das Konzept, Stahlbau auf den städtischen Wohnungsbau
zu projizieren bis ins Detail wider.
Stahl auch auf weniger konventionelle Einsatzbereiche des Konstruktionsmaterials
überzuleiten kann die vielen Vorzüge des Baustoffs noch erweitern. Im städtischen
Wohnungsbau derzeit noch ungewöhnlich, hat Baustahl im Zuge von Weiterentwicklungen
das Potential die alltägliche Architektur auch in Städten wie München positiv
voranzubringen und von monotonem, passivem Charakter zu befreien.
Fotostrecke
Lob der Jury
Die Arbeit „Dichter Wohnungsbau in München“ greift aktuelle architektonische und gesellschaftliche Herausforderungen nach bezahlbarem Wohnraum in Städten, die weiter verdichtet werden sollen, auf. Diese Aufgabe wird oftmals in ortstypischen Ausprägungen gelöst, dadurch entsteht zwar ein homogenes aber manchmal auch langweiliges Stadtbild, welches architektonische Vielfalt vermissen lässt. Dies ist auch in München so. Hier dominieren Putzfassaden, oft gesehenes Element sind bodentiefe Fenster.
Die ausgezeichnete Arbeit fügt etwas Neues hinzu. Allein schon durch vorrangige Verwendung von Stahl und Stahlkonstruktionen gelingt es den Verfassern, den oft einfallslosen Lösungen dieser Bauaufgabe eine architektonisch anspruchsvolle Variante hinzuzufügen. Die technologische Anmutung der Tektonik des Gebäudes ist modern und zukunftsgerichtet. Die Stahlkonstruktion des Skelettbaus ist auch im Inneren wahrnehmbar und schafft dadurch eine Authentizität für Bewohner und Passanten gleichermaßen: das Gebäude „sagt, was es macht“. Moderne Elemente, wie die außenliegende Erschließung und die Laubengänge sparen Platz und fördern gleichzeitig die soziale Interaktion der Bewohner. Die klugen Grundrisse der durchgesteckten Wohnungen ermöglichen nicht nur ein einfaches Rettungswege-Konzept, vielmehr schaffen sie in den Wohnungen introvertierte und extrovertierte Zonen, die die Qualität der Wohnungen erhöht.
Die gewählte Bauweise ermöglicht Vorfertigung, der Prototyp kann leicht modifiziert und angepasst werden und so wiederholt werden.
Die Jury lobt neben der Materialwahl und der möglichen Vorfertigung vor allem die Lösung, anspruchsvollen Wohnraum in dichter Bauweise zu schaffen und würdigt diese Arbeit mit einer Anerkennung.