Redaktion: „Die neue Bundesregierung will mit dem geplanten Sondervermögen Infrastruktur nun endlich ernst machen damit, den Sanierungsstau aufzulösen. Von diesem Sondervermögen will natürlich auch die Stahlbaubranche profitieren. Wo stehen wir da?“

(c) Uwe Völkner / bundesfoto
Dr. Heinz Friedrich: „Wir haben im Zuge der Bundesfernstraßen rund 40.000 Brücken. Tatsächlich sind es sogar mehr, da viele Autobahnbrücken aus zwei Teilbauwerken bestehen – also jeweils einem Bauwerk pro Fahrtrichtung. Rund 200 dieser Bauwerke sind Stahlbrücken mit orthotroper Fahrbahnplatte. Sie kommen insbesondere dort zum Einsatz, wo große Spannweiten überbrückt werden müssen. Deshalb sind z. B. in Nordrhein-Westfalen – mit Ausnahme eines Teilbauwerks der Deutzer Brücke in Köln – alle Rheinbrücken Stahlbrücken.
Redaktion: „Nur zweihundert Brücken aus Stahl – das hört sich nicht gewaltig an.“
Dr. Heinz Friedrich: „Der Eindruck täuscht. Eine reine Zählung sagt wenig aus, denn sie vermischt kleine und große Bauwerke. Eine Brücke über ein Bächlein ist natürlich nicht mit einer Rheinbrücke vergleichbar. Wenn wir die Brückenfläche als Maßstab nehmen, wird es aussagekräftiger: Dann liegt der Anteil der Stahlbrücken nicht bei 0,5 Prozent, sondern bei etwa 5 Prozent – also dem Zehnfachen.“
Redaktion: „Wie hoch ist dabei der Anteil maroder Brücken, für die es dringend Ersatzneubauten bräuchte?“
Dr. Heinz Friedrich: „Der Begriff marode wird in der öffentlichen Diskussion häufig verwendet, geht aber an der Sache meist vorbei. In der Regel haben wir die Situation, dass nicht das Material die Ursache ist, sondern die Brücken in den 1960er und 1970er Jahren nicht auf die heutige Belastung ausgelegt wurden. Ich möchte betonen, dass ich große Hochachtung vor der planerischen und rechnerischen Leistung der Ingenieure habe, die zu ihrer Zeit die heute älteren Brücken erbauten. Sie wären bis heute in Ordnung, wenn die damaligen Lastannahmen noch stimmten. Brücken werden natürlich dynamisch belastet, aber zur Klassifizierung wurden statische Ersatzlasten herangezogen. Die seinerzeit höchste Brückenklasse 60 ging von einem fiktiven Fahrzeug mit 60 Tonnen aus, später wurden es 60 plus 30 Tonnen. Seit 2012 gehen wir von modifizierten, sehr viel anspruchsvolleren Lastmodellen aus. Erstens hat sich der LKW-Verkehr bis heute vervielfacht, zweitens ist die Gewichtsbelastung deutlich erhöht. Die aktuellen Prognosen gehen von einer immer noch deutlichen Steigerung aus, auch wenn sich zeigt, dass die Kurve abflacht. Fakt ist jedenfalls: Die LKW machen unsere Brücken kaputt.“
Redaktion: „Wie lässt sich der Zustand der Brücken konkret einordnen?“
Dr. Heinz Friedrich: „Wir haben die Stahlbrücken in fünf Kategorien eingeteilt: Zur Kategorie A gehören Brücken mit einem guten Traglastindex und guter Substanzkennzahl, zur Kategorie E Brücken mit schlechtem Traglastindex und schlechter Substanzkennzahl – die anderen Kategorien befinden sich dazwischen (vgl. Tabelle 1, Bild 1). Brücken der Kategorie E, die zeitnah einer Instandsetzung/ Verstärkung bedürfen, partiell oder zur Gänze zu ersetzen sind, machen etwa 10 % des Stahlbrückenbestandes aus. Aber das ist immerhin eine Fläche von über 130.000 Quadratmetern, bei denen ein Teil des Sondervermögens Infrastruktur gut angelegt wäre.“
Redaktion: „Geld ist nicht alles. Wo sehen Sie die größten Hürden bei der Umsetzung?“
Dr. Heinz Friedrich: „Die größten Herausforderungen sind organisatorischer Natur. Schon die Auftragsvergabe durch die zuständigen Behörden ist eine Aufgabe, die unter Beachtung der einschlägigen Vergaberichtlinien sehr viel Kapazität und sehr viel Zeit braucht. Dann kommt die Planungsphase. Trotz des sehr wertvollen Gesetzes zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren dauert die Phase, bis endlich gebaut werden darf, in der Regel immer noch so lange wie das Bauen selbst. Die Ausführung ist daher nicht der Flaschenhals, auch nicht die Verfügbarkeit und Logistik seitens der Stahlhersteller und Stahlbauer. Aber ein anderer Aspekt kommt noch dazu: Selbst wenn alles Geld des Sondervermögens auf einen Schlag zur Verfügung stünde, könnten nicht alle Ertüchtigungsmaßnahmen auf einmal erledigt werden – schließlich kann der Straßenverkehr keine Auszeit nehmen. Bei Brücken mit zwei Teilbauwerken kann der Verkehr im Sanierungsfall ja noch auf reduzierten Spuren weiterlaufen. Insbesondere bei den großen Stahlbrücken aber, die aus wirtschaftlichen Gründen häufig nur aus einem Bauwerk bestehen, sind sowohl bei einer Verlängerung der Restnutzungsdauer als auch beim Ersatzneubau meist sehr aufwändige Maßnahmen erforderlich, um den Verkehr weitgehend aufrecht zu erhalten.“
Redaktion: „Vielen Dank für Ihre Zeit, die Hintergrundinformationen und Ihre Einschätzungen.“
Resümee
Das Gespräch mit Dr. Heinz Friedrich zeigt deutlich: Die Herausforderungen im Brückenbau sind komplex – aber nicht unlösbar. Stahlbrücken übernehmen eine zentrale Rolle bei der Ertüchtigung der Verkehrswege, insbesondere dort, wo große Spannweiten gefordert sind. Dass sie heute unter Druck stehen, liegt weniger an Materialversagen als an der schlichten Tatsache, dass der Verkehr über die Jahrzehnte hinweg neue Dimensionen angenommen hat. Die Aussicht auf Investitionen aus dem Sondervermögen Infrastruktur ist ein positives Signal. Doch um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, braucht es neben finanziellen Mitteln vor allem schlankere Vergabeprozesse, beschleunigte Planungen und einen realistischen Umgang mit den praktischen Einschränkungen während der Bauzeit. Für den Stahlbau bedeutet das: Es gibt gute Chancen, aber auch Aufgaben. Wer hier mit Know-how, Kapazität und verlässlicher Ausführung punktet, wird an der infrastrukturellen Erneuerung Deutschlands entscheidend mitwirken.