Hintergrund
Ein peruanischer Bauer aus Huaraz, unterhalb des Gletschersees Laguna Palcacocha gelegen, verlangte vom deutschen Energiekonzern RWE eine anteilige Kostenübernahme für Schutzmaßnahmen sowie hilfsweise Maßnahmen zur Reduzierung des Seevolumens – gestützt auf dessen Anteil an den globalen CO₂-Emissionen. Der Bauer befürchtete in den nächsten Jahren eine Überflutung seines Grundstücks durch den nahegelegenen Gletschersee. Er verstärkte die Außenmauern und stockte sein Wohnhaus um eine Etage auf, um sich vor einer möglichen zukünftigen Flutwelle zu schützen.
Das OLG Hamm ließ zur behaupteten konkret drohenden Flutgefahr umfangreich sachverständig begutachten (TU Darmstadt/BOKU Wien). Im Ergebnis bezifferte das Ergänzungsgutachten die Eintrittswahrscheinlichkeit einer das Grundstück beeinträchtigenden Überflutung innerhalb von 30 Jahren auf rund 1 %; nach herangezogenen Richtlinien ist dies „sehr gering“. Das Gericht wählte gerade wegen der potenziell gravierenden Schadensschwere einen 30-Jahres-Horizont, hielt aber auch in diesem Zeitraum die erforderliche Wahrscheinlichkeit nicht für erreicht.
Kernpunkte der Entscheidung des OLG Hamm
1) Anspruchsgrundlage und Reichweite von § 1004 BGB
- Das OLG Hamm sieht den vorbeugenden Abwehranspruch (§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, analog auch bei Erstbeeinträchtigung) als grundsätzlich eröffnet an; er kann einen Störer (hier RWE) auch zu einem positiven Tun verpflichten (z. B. Kostentragung für Schutzmaßnahmen), wenn dies zur Abwehr der drohenden Eigentumsbeeinträchtigung erforderlich ist.
- Grundidee dahinter: Das Zivilrecht schützt Eigentum nicht nur nach einem Schaden, sondern auch vorbeugend. Wenn durch das Verhalten eines Unternehmens mi hinreichender Wahrscheinlichkeit das Eigentum eines Dritten (z.B. Grundstück) beeinträchtigt wird, kann der Dritte verlangen, dass das Unternehmen Maßnahmen ergreift, um die Gefahr des Schadenseintritts zu verringern – bis hin zur finanziellen Beteiligung an vom Dritten ergriffenen Schutzmaßnahmen.
- Auch wenn Großemittenten, wie RWE, bzgl. ihres Ausstoßes von CO₂-Emissionen nicht gegen öffentlichen Recht verstoßen (Eimissionshandel nach TEHG) führt dies nicht dazu, dass von den Emissionen Betroffene die dadurch verursachte Störung dulden müssen – maßgeblich ist, ob das Eigentum des Betroffenen konkret bedroht ist
2) Zurechnung trotz globaler Kausalverkettung
- Auswirkung auf Klima ist verteilte Kausalität: Viele Akteure tragen über Emissionen zum Klimawandel bei. Das OLG Hamm sagt: Distanz (weit entferntes Emittieren) und Zeitversatz (langsame Wirkung der Emissionen) befreien Emittenten nicht automatisch von ihrer Verantwortung für ihre Emissionen.
- Beiträge zählen relativ: Es geht nicht um „alles oder nichts“. Maßgeblich ist, ob der Beitrag eines Unternehmens im Vergleich zu anderen ins Gewicht fällt. Großemittenten können deshalb nicht einfach den Einwand erheben: „Mein Anteil ist nur ein Bruchteil der Gesamtemissionen“ – wenn dieser Bruchteil erheblich ist, bleibt er zurechenbar.
- Merksatz: Auch bei vielen Verursachern bleibt ein großer Beitrag rechtlich zurechenbar – „alle zusammen“ entlässt den Einzelnen mit großem Anteil nicht aus der Verantwortung.
3) Schwelle: „ernsthaft drohende“ konkrete Gefahr
- Der in diesem Rechtsstreit erhobene vorbeugende Anspruch setzt eine konkret drohende Beeinträchtigung voraus; eine bloße abstrakte/latente Gefahr genügt nicht. Ein Rückgriff auf allgemeine „Beschleunigungsfaktoren“ des Klimawandels reicht nicht zur Begründung der konkreten Gefahrenlage. Es braucht also eine greifbare, ausreichend wahrscheinliche Beeinträchtigung des Eigentums des Betroffenen.
- Gemessen daran scheiterte der Kläger an der Beweislast: Die sachverständig ermittelte Eintrittswahrscheinlichkeit (ca. 1 % in 30 Jahren) unterschreitet die vom OLG Hamm geforderte Schwelle einer ernsthaft drohenden Gefahr. Insgesamt sah das Gericht keine genügend wahrscheinliche Beeinträchtigung am Wohnort des Bauern.
- Knapp daneben: Das Gericht beton jedoch zugleich, dass bei leicht anderen Fakten, (z.B. nähere Lage des Grundstücks am Gletschersee) eine höhere Eintrittswahrscheinlichkeit vorliegen könnte und damit die Sachlage anders zu beurteilen wäre. Dies zeigt, wie nahe der Fall an der Schwelle lag – unter leicht veränderten, konkreten Risikoparametern hätte die Gefahrenwahrscheinlichkeit anders gewertet werden können.
Ergebnis: Gescheitert ist die Klage des Bauern allein am Nachweis einer hinreichend wahrscheinlichen, konkret drohenden Gefahr für das Eigentum des Bauern. Bei einer anderen Sachlage hätte das Gericht wahrscheinlich zugunsten des Bauern entschieden.
Bedeutung für den mittelständischen Stahlbau
1) Signal an Großemittenten:
Das Urteil bestätigt: Zivilrechtliche Abwehr-/Kostentragungsansprüche gegen weltweite Großemittenten sind dogmatisch möglich, wenn am betroffenen Eigentum eines Dritten eine konkrete, ernsthaft drohende Gefahr nachweisbar ist. Die geografische Distanz, Zeitversatz oder die „Vielverursachung“ schützen nicht per se.
Für Großemittenten der Stahlerzeugung steigt das grundsätzliche Expositionsrisiko – nicht automatisch, aber falls Betroffene künftig konkrete Gefahrenlagen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegen können.
2) Entwarnung für typische Mittelständler im Stahlbau:
Für klassische Stahlbau-KMU ist das Klagerisiko aktuell gering. Grund: Ihre Einzelemissionen liegen – gemessen an globalen Energie-Großemittenten – in aller Regel deutlich niedriger; im Rahmen der gerichtlichen Erheblichkeits- und Zurechnungsprüfung fallen derartige Beiträge regelmäßig kaum ins Gewicht. Haftungsadressaten sind primär Großemittenten, nicht der Mittelständler im Stahlbau.
Fazit
Das OLG Hamm hat die „Rechtsbrücke“ gebaut – gegangen werden kann sie nur mit harter Tatsachenbasis
Die Klimahaftung nach § 1004 BGB ist gegen Großemittenten grundsätzlich möglich und wird weder durch Distanz, Zeitversatz noch durch globale Vielverursachung verwehrt. Im konkreten Fall scheiterte der Kläger ausschließlich am Beweis einer hinreichend wahrscheinlichen, konkreten Beeinträchtigung seines Eigentums (nur ca. 1 % in 30 Jahren).
Für den mittelständischen deutschen Stahlbau bedeutet das: potenzielle Klimaklagen haben derzeit keine Aussicht auf Erfolg, denn typische Einzelemissionen sind im Vergleich zu Großemittenten zu gering, um die Erheblichkeitsschwelle regelmäßig zu überschreiten.
Konzerne der Stahlerzeugung und andere Großemittenten müssen hingegen in den nächsten Jahren damit rechnen, dass sie – bei künftig besser belegbarer konkreter Gefahr – vermehrt in Anspruch genommen werden.
(OLG Hamm, Urt. v. 28.05.2025 – 5 U 15/17), abrufbar unter https://nrwe.justiz.nrw.de/olgs/hamm/j2025/5_U_15_17_Urteil_20250528.html


